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Cover Lettre International, Stanislas Guigui
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Inhaltsverzeichnis

LI 105, Sommer 2014

Sicherheit und Söldner

Das größte private Sicherheitsunternehmen der Welt in Aktion

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G4S hat seinen Sitz in der Nähe von London und wird an der dortigen Börse gehandelt. Der Öffentlichkeit größtenteils unbekannt, operiert das Unternehmen in 120 Ländern; mit 620 000 Beschäftigten ist es hinter Walmart und dem taiwanesischen Herstellungskonglomerat Foxconn der drittgrößte private Arbeitgeber der Welt. Daß eine private Firma dieser Größe ausgerechnet ein Sicherheitsunternehmen verkörpert, ist bezeichnend für unsere Zeit. Das Gros der Beschäftigten von G4S sind kleine Wachleute, aber die Firma schickt zunehmend auch militärische Spezialisten in „komplexe Umfelder“, wie man das vorsichtig nennt. Sie übernehmen dort Aufgaben, die zu erledigen nationale Militärs nicht imstande oder nicht willens sind.

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II. Die Regeln

Karten, welche die Welt als in souveräne Staaten aufgeteilt zeigen, jeder mit einer Zentralregierung und sinnvollen Grenzen, reflektieren ein Organisationsmodell, das sich vielerorts noch nie als sonderlich praktisch erwiesen hat und heute zunehmend veraltet scheint. Globalisierung, Kommunikation, schnelle Transportmöglichkeiten und die problemlose Verfügbarkeit destruktiver Technik spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Tatsache, daß alle Systeme irgendwann Ermüdungserscheinungen zeigen und die Zukunft sich nicht in Unterrichtsräumen erfinden läßt. Aus welchem Grund auch immer gestaltet sich das Management unserer Welt von Tag zu Tag schwieriger, und die Möglichkeiten der Regierungen, dem entgegenzuwirken, nehmen zusehends ab.

Die durch den Rückzug des Staates entstehendenen Lücken füllen – in einem ganz natürlichen Prozeß – private Sicherheitsunternehmen. Die Größe dieser Branche ist unmöglich zu beziffern angesichts der Schwierigkeiten mit Definitionen und den Tausenden von kleinen Firmen, die auf den Markt drängen. Tatsache ist, daß es in den Vereinigten Staaten zur Zeit womöglich 2 Millionen Sicherheitsbedienstete gibt – mehr als alle Polizeibeamten zusammengenommen – und daß im Irakkrieg zuweilen mehr privates Militär als reguläre amerikanische Soldaten im Einsatz war, wie das heute auch in Afghanistan der Fall ist. Weltweit, so schätzt man, beziffert sich der Umsatz privater Sicherheitsunternehmen auf mehr als 200 Milliarden US-Dollar jährlich, eine Zahl, die in den kommenden Jahren noch steigen dürfte. Einer konservativen Schätzung zufolge beschäftigt die Branche derzeit weltweit 15 Millionen Menschen. Kritiker sorgen sich wegen der spaltenden Wirkung einer Industrie, welche die Reichen vor den Folgen ihrer Gier schützt und in Extremfällen sogar multinationalen Konzernen hilft – vor allem bei der Rohstoffgewinnung –, die Armen der Welt mit Füßen zu treten. Außerdem haben die Leute grundsätzlich Probleme mit der Profitorientiertheit der Branche, die zu Mißbrauch verleitet und als Motivation unwürdig scheint, gemessen an den hehren Zielen, die man dem Staat unterstellt. Nichtsdestoweniger gibt es reichlich Belege dafür, daß Staaten und Aspiranten auf die Staatsmacht sich immer wieder weit schlimmerer Verfehlungen schuldig gemacht haben, als es private Sicherheitsunternehmen je könnten. Darüber hinaus ist zum Verständnis der Branche eines wichtig: Das Wachstum im privaten Sicherheitsbusineß ist entschieden apolitisch. Diese Unternehmen stellen eine Dienstleistung, die Kunden jeder Couleur offensteht.

G4S hebt sich von den anderen hauptsächlich der Größe des Unternehmens wegen ab. Um das in Relation zu bringen: Die Firma verfügt über die dreifache Mannstärke des britischen Militärs und sorgt (wenn auch größtenteils unbewaffnet) für einen Umsatz von 12 Milliarden US-Dollar jährlich.

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Es sind ernste Männer, und ihre Unterhaltung dreht sich oft um Technisches, um Probleme im Südsudan, um tödliche Unfälle oder verletzte Kollegen – die Fehler, die sie gemacht haben, die Gefahren, die überall lauern. Am fortgeschrittenen Abend wird man lockerer und beginnt Geschichten auf Kosten anderer zu erzählen. Spezielle Zielscheibe während meines Aufenthalts war „Aidy“, wie man ihn liebevoll nannte, ein sonniger junger Südafrikaner namens Adrian McKay. Er verstand sich darauf, jeweils kurz vor dem Heimaturlaub die große Liebe zu arrangieren. Eines seiner Opfer hatte als Gegenleistung das Geld fürs College von ihm verlangt, worauf er (erst nach reiflicher Überlegung) die Beziehung doch lieber sausen ließ. McKay war um die Dreißig. Er hatte als Soldat bei den Briten gedient, und der Job bei G4S war sein erster Einsatz als Zivilist. Kurz nach seinem Einstand in Juba fuhr er mit einem Team auf die Schulter eines Hügels an der ugandischen Grenze, und als er den Nil sah, der sich unter ihnen im Dunst verlor, rief er: „Schaut mal! Ich seh’ das Meer!“ Die Bemerkung ging in die Geschichte von G4S ein. Wie sich herausstellte, wußte McKay nicht, daß der Südsudan keine Küste hat; er wähnte sich im anderen Sudan (dem im Norden), und davon abgesehen hätte er sowieso nicht sagen können, wo auf der Karte er gerade war. „Ach“, meinte Booyse dazu, „es hilft bei unserem Job hier womöglich, nicht ganz so helle zu sein.“ Und wahrscheinlich hatte er recht. An zerstörten Kampfmitteln gemessen war McKay der fleißigste Mann.

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Es ist dies ein Charakteristikum privaten Soldatentums. Daß man keine Illusionen hat. Die Männer bei G4S wissen, sie werden nie als Helden nach Hause kommen; sie können noch nicht einmal mit einer Erwähnung rechnen, wenn einer stirbt. Sie werden dieselben Risiken zu geringeren Kosten eingegangen sein als ihre Kollegen vom traditionellen Militär, so will es die Logik des Geschäfts, aber niemand wird ein Wort über ihre Tapferkeit oder ihr Opfer verlieren. Im Gegenteil, außerhalb ihres kleinen Kreises wird man ihnen mit Zweifeln und Mißtrauen begegnen.

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Im Hochland an der Grenze zu Uganda bearbeitet ein G4S-Team nun schon in der vierten Trockenzeit mit Räummaschinen ein Gebiet von 19 Quadratkilometern mit Minenfeldern sowohl aus dem Krieg zwischen dem Norden und dem Süden als auch aus den neunziger Jahren. Ausgangspunkt für die Räumung des von beiden Seiten verminten Gebiets ist die Ruine einer Klinik. Eine überwucherte Piste war einst die Hauptstraße nach Uganda; Panzerabwehrminen haben sie unbefahrbar gemacht, und einige lauern noch heute direkt daneben im Gras. Die Piste führt zu einer zerstörten Brücke über den reißenden Aswa. Gleich neben ihr ist im Schlamm, von den Fluten freigespült, eine Mine erkennbar. Weiter hinten, in Richtung der Klinik, ist eine Gemeinde von 2 000 Menschen spurlos verschwunden. Einige Einheimische wagen sich in die Gegend, um mit Bogen und Speeren zu jagen oder zu fischen; zudem bedarf ein Gemüsefeld des Schutzes gegen plündernde Paviane. Aber die Minen liegen im Hinterhalt wie verbissene kleine Soldaten, die sich zu kapitulieren weigern, was die Gegend gefährlich macht.

Die Zahl der einschlägigen Opfer ist schwer zu berechnen; offensichtlich ist, daß Unfälle in der Regel nicht gemeldet werden, da es sich bei vielen der exponiertesten Menschen um Bewohner abgelegener Dörfer handelt, die gegen den Staat rebellieren. Die Aswa-Klinik jedoch ist nicht abgelegen; sie steht am einzigen asphaltierten Highway des Südsudan, einem von den Vereinigten Staaten finanzierten zweispurigen Band, das sich von Juba zur ugandischen Grenze zieht. Nachdem dort zwei Menschen durch eine Mine umgekommen waren, rief die UNO die G4S, die sich hier an einer mechanischen Räumung versucht, um das Land wieder seiner angestammten Nutzung zuzuführen. Bei den hier eingesetzten Maschinen handelt es sich um gepanzerte Bulldozer oder Traktoren. Sie arbeiten entweder nach dem Dreschflegelsystem (mit Ketten versehene Walzen) oder schieben Bodenfräsen vor sich her, die jeden Zentimeter Erde bis zu einer bestimmten Tiefe durchfiltern. Als schnell lassen sich diese Maschinen nur im Vergleich zum qualvollen Tempo manueller Entminungsmethoden bezeichnen, bei denen man mit von Hand gehaltenen Detektoren unterwegs ist und dann im Dreck kniet und mit einer Sonde zu stochern beginnt.

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Sich in Kriegsgebiete zu wagen ist per definitionem ein Spiel mit hohen Risiken. Einer der bis dato heikelsten Einsätze der Firma ist ihre Arbeit für Chevron Oil in Nigerias Nigerdelta. Chevron operiert dort in engster Nachbarschaft zu aufständischen Landbewohnern, die mit der Verseuchung zu leben haben, während das Unternehmen Öl und Wohlstand exportiert und Förderabgaben an eine korrupte nigerianische Regierung bezahlt. Nach der Besetzung einer Raffinerie durch 600 Frauen im Jahr 2002 beauftragte Chevron das südafrikanische Sicherheitsunternehmen Gray damit, für Ordnung zu sorgen. Gray war zuvor von Securicor geschluckt worden und gehörte seit dessen Fusion mit Group 4 zu G4S. Der lukrative Auftrag wuchs sich schließlich zur regelrechten Aufstandsbekämpfung aus. Heute unterhält G4S Schnelleinsatzgruppen mit Patrouillenbooten, die mit MGs bestückt sind. Die Crews bestehen aus Expatriates; wenn geschossen werden muß, besorgen das Angehörige der nigerianischen Marine, die mit an Bord sind. Ähnliche Arrangements für Schnelleinsatzgruppen bestehen an Land. Die nigerianischen Soldaten stehen technisch unter dem Kommando des Staates, aber ihren Sold bekommen sie von G4S. Das Muster spiegelt jenes im Südsudan, wo SPLA-Soldaten in aktivem Dienst, die auf der Gehaltsliste von G4S stehen, sich tatsächlich unter der Kontrolle der Firma befinden, obwohl die Möglichkeit eines G4S-Fiaskos in Nigeria viel höher ist.

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Booyse hatte den Ärger vorausgesagt. „Ich bin kein Hellseher“, hatte er gesagt, „aber ich kann Ihnen sagen, daß hier bald die Kacke am Dampfen ist.“ Er war gerade in Bentiu, nördlich von Juba (acht Tage mit dem Auto), als im Süden der Bürgerkrieg ausbrach. Bentiu ist die schmuddelige Hauptstadt des südsudanesischen Bundesstaats Unity und bezieht seine Bedeutung aus den Ölfeldern ganz in der Nähe. Sie verfügt über ein unbefestigtes Flugfeld und eine kleine UNO-Basis unter dem Schutz eines Kontingents mongolischer Blauhelme. Booyse hatte sein Lager auf einem Stück Land neben dem Flugfeld aufgeschlagen.

Ganz in der Nähe befand sich ein mongolischer Außenposten, der aus einigen Soldaten mit gepanzerten Kampffahrzeugen hinter einem Stacheldrahtverhau mit Tor bestand. Als die Spannungen zunahmen, entschloß sich Booyse, sein Lager einige hundert Meter weiter in den Außenposten zu verlegen. Bei Einbruch der Dämmerung, Booyse und seine Leute hatten fast schon gepackt, brach auf dem Flugplatz ein schweres Feuergefecht aus. Auf offenem Feld erwischt, suchten Booyse und seine Männer Schutz hinter einem großen Glasfasertank, der freilich weder Schrapnelle noch Geschosse abgehalten hätte; aber vielleicht waren sie so nicht gleich zu sehen. Die Mongolen im Außenposten waren in ihren Kampffahrzeugen verschwunden und erwiderten das Feuer, offenbar völlig verwirrt, mit ihren montierten MGs. Die Nacht brach herein. Das Feuergefecht flammte hier und da wieder auf, manchmal kamen Mörser zum Einsatz, auch RPGs. In der Ferne ging ein Munitionslager in Flammen auf; man sah Raketen in die Luft gehen.

Dann tauchten wie aus dem Nichts vier oder fünf Soldaten mit erhobenen Waffen auf. Es schienen Nuer zu sein, vielleicht auch nur deshalb, weil einige von Booyses Minenräumern, die alle Dinka waren, zu weinen begannen. Tausende von Menschen kamen auf vergleichbare Weise um. Der Anführer schob Booyse die Mündung seines Gewehrs in die Nase und ließ sie dort geschlagene zwanzig Sekunden, die Booyse sechzigmal so lang schienen, und sagte dann in gutem Englisch: „Das ist dein Glückstag.“

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