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Cover Lettre International 96, Marcel Dzama
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Inhaltsverzeichnis

LI 96, Frühjahr 2012

Kunst als Kapital

Wie eine neue Generation privater Großsammler die Kunstszene aufkauft

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Zeitgenössische Kunst ist heute sichtbarer und durchsichtiger als je zuvor, verständlicher und weniger selbstbezüglich als noch in den neunziger Jahren. Sie stützt sich auf Mehr-, nicht Minderheiten, verändert nicht, sondern formt den Alltag, vom öffentlichen Raum bis zum innenarchitektonischen Design. Zugleich ist Kunst selbstverliebt wie nie zuvor, sie kümmert sich weder um aktuelle Probleme noch um Wissenschaft oder Politik – und dies wird in einer vor allem mit sich selbst beschäftigten Szene kaum diskutiert. Die Ware Kunst glitzert durch ihren ausgerufenen Wert, ist ästhetisch verbrämter NASDAQ; sie wird nicht mehr gesammelt, sondern erworben.

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Gagosianopolis

Im 18. Jahrhundert gab es weder öffentliche Museen noch einen Kunstmarkt. Mitte des 19. Jahrhunderts, auf dem ersten Höhepunkt einer in der Aufklärung erfundenen und nunmehr wohlhabenden bürgerlichen Gesellschaft, begann der Konflikt zwischen zwei Sorten Kunst: formal-innovativ und Salonkunst. Die innovative Kunst, die sich um den guten Geschmack potentieller Käufer wenig kümmerte, hing im Salon des Refusés, und da war sie gut aufgehoben. Warum trieb es einen Bilderstürmer wie Edouard Manet trotzdem immer wieder in den offiziellen Salon, wo er doch nur verlacht und verhöhnt wurde? Die Avantgarde, die so noch nicht hieß, und der Salon haßten sich, bekämpften sich, aber brauchten einander auch. Sie wären für immer unversöhnlich geblieben, gäbe es nicht – das Geld. Die Avantgarde mußte in den Salon – nicht um Kunstgeschichte zu schreiben, sondern um zu verkaufen.

Gauguin gelang es, ins damalige Betriebssystem zu kommen und wenigstens etwas zu verkaufen, van Gogh mußte zeit seines Lebens draußen bleiben und darben. Erst mit dem Aufstieg der Kunsthändler zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlor der Pariser Salon seine maßstabsetzende Bedeutung. Die Kunsthändler nahmen einer damals noch einflußreichen Kunstkritik die Geschichtsschreibung ab, entschieden über Weltruhm und Wohlstand. Beispiele sind Paul Durand-Ruel, Alfred Flechtheim, Ambroise Vollard, Herwarth Walden, Peggy Guggenheim; letztere allerdings unter Vorbehalt, denn wie Aimé Maeght oder Sidney Janis verstand sie sich bereits als Galeristin, nicht nur als Händlerin, und propagierte neue, damals zumindest teilweise noch unbekannte Talente, nicht gesicherte Werte. 

Ab den späten fünfziger Jahren sollten dann Galerie und Galeristen die wirtschaftlich und ästhetisch dominante Rolle im Kunstbetrieb übernehmen: Leo Castelli und Ileana Sonnabend in der Oberklasse, später eine gehobene Mittelklasse weltweit verkaufender, aber keinesfalls weltberühmter Galeristen wie Marian Goodman, Paula Cooper, Barbara Gladstone. Auch Michael Werner gehört dazu, der „seinen“ Künstlern immer treu blieb, selbst wenn im Hinterzimmer Picabia, Schwitters, Lehmbruck hingen. 

Wer ist heute der einflußreichste Galerist? Alle wollen zum 1945 geborenen Larry Gagosian, alias „Go-Go“, einst nur Los Angeles, heute auch New York, London, Paris und überall. Gagosians Kunststück ist, Secondary und Primary Market, also Wiederverkaufsware und neue Werke frisch aus dem Atelier, gleichermaßen zu bedienen, gleich zu behandeln, gleich zu takten. Denn der zunehmende Erfolg des ersteren schien lange das Ende des letzteren, das Modell Galerie überholt. Ende der neunziger Jahre regte sich die Zunft noch über den dynamischen Zynismus der Auktionshäuser auf, doch Larry Gagosian, der bei seinem Gönner Castelli einiges abschaute, hat es verstanden, auch Auktionshäuser wie Christie’s, Sotheby’s und Co. zu instrumentalisieren, indem er mitbestimmt, was und zu welchen Preisen bei ihnen angenommen und versteigert wird. Go-Go baut an Gagosianopolis, wie der New Yorker Kritiker Jerry Saltz das neue Reich der Kunstmarktmitte nennt.7 Gagosianopolis ist das Königreich des wilden Kapitalismus – nicht zufällig war sein Herrscher mehrfach mit der Steuerfahndung in Konflikt und entging 2004 in New York nur durch eine Abschlagzahlung von neun Millionen Dollar einem Prozeß wegen 26 Millionen nichterklärter Einnahmen. Go-Go geht es nicht um das Kunstwerk, sondern um den Verkauf, den „Deal“. Zwei Beispiele: Im Jahr 2004 lag der höchste Auktionspreis für ein Gemälde des Japaners Takashi Murakami bei 624 000 US-Dollar. Nachdem es Gagosian gelungen war, Murakami in großen Sammlungen wie jener des Hedgefonds-Investors Steve Cohen zu plazieren, stieg der Auktionsrekord für seine Arbeiten bis November 2007 auf 2,4 Millionen Dollar.

Im Kundenauftrag war Gagosian Mitbieter für Picassos Garçon à la Pipe, der 2004 als erstes Kunstwerk über hundert Millionen Dollar brachte.

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Kontrolle der Wertschöpfungskette 

Ist es nicht logisch, wenn angesichts der zunehmenden Entmachtung von Galeristen und Kuratoren sowie einer stetigen Instrumentalisierung von Großausstellungen diejenigen die Macht übernehmen, welche über beides, Kunst und Kapital verfügen? François Pinault ging als erster daran, Kunst als Unternehmer zu sammeln: Er sicherte sich die Relais der gesamte Produktionskette der Wertschöpfung, indem er zusätzlich zu seinen Museen Galerien und Auktionshäuser aufkaufte. Mit dem ehemaligen französischen Kulturministers Jean-Jacques Aillagon und renommierten Kuratoren wie Francesco Bonami, Alison Gingeras oder Caroline Bourgeois auf seiner Gehaltsliste plant Pinault wie ein Unternehmer und handelt wie ein Politiker – in eigener Sache. Als konservativer Chirac-Freund, der sich mit der Linken nur gemein macht, wenn es sein muß, liebt Pinault die Verschwiegenheit – weder gibt er Interviews noch informiert er über seine Pläne. Dabei wäre es faszinierend zu hören, warum jede Hängung einer seiner Sammlungspräsentationen vor der Eröffnung von ihm persönlich abgegangen wird.

Als aktivstem Sammler des globalen Kunstbetriebs gehört Pinault die weltweit operierende Galerie Haunch of Venison ebenso wie deren Mutterhaus Christie’s, das umsatzstärkste Auktionshaus der Welt. Pinault bespielt eigene wie fremde Museen und sitzt im Beirat des bedeutendsten internationalen Kunstpreises, des japanischen Praemium Imperiale. Nicht einmal engste Mitarbeiter wissen, welche und wieviele Kunstwerke er sein eigen nennt – das Geheimnis um die Sammlung wird um so größer, je mehr Pinault davon zeigt.

Pinault verschenkt nichts, im Gegensatz zu seinem amerikanischen Milliardärskollegen Eli Broad, ohne den die Museumswände von Los Angeles unterbehängt wären. Er kauft auch nicht im staatlichen kommunalen Auftrag, wie die Tochter des Emirs von Katar, Sheikha Al-Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani, die für noch im Bau befindliche Museen den Kunstmarkt derzeit mit Dollars flutet. 

Ein erfolgsverwöhnter Unternehmer wie Pinault sammelt für sich selbst, ursprünglich vielleicht aus Liebe zur Kunst, heute aus sportlichem Ehrgeiz und Konkurrenzneid vor allem Trophäen, was seine Auswahl zunehmend sprunghaft werden läßt. Modische Netzhautschmeichler wie Takashi Murakami erwirbt er flächendeckend, historische Querdenker, etwa Vito Acconci, oder Einzelgänger wie Sigmar Polke zumeist sehr spät und hochpreisig. Polkes The Axis of Time kaufte er über den Galeristen Michael Werner direkt von der Wand des Zentralpavillons der Venedig-Biennale 2007 weg, angeblich für 15 Millionen Euro. Von Heroen des Zeitgeistes wie Jeff Koons besitzt Pinault nicht ein oder zwei, sondern gleich ein Dutzend Werke. Teilweise erworben im harten Bieterkampf gegen ebenso vermögende Konkurrenten, wie den Scheich Saud al-Thani aus Katar.

Pinault gehören das Kaufhaus Printemps und die Modemarke Yves Saint-Laurent, die Mediamarktkette Fnac und die Sportmarke Puma. Geldgeschichte schrieb er als „Weißer Ritter“, der seinem französischen Konkurrenten Bernard Arnault, Besitzer von Louis Vuitton Moët Hennessy alias LVMH, das bedrängte Modelabel Gucci kurz vor der feindlichen Übernahme wegschnappte. Seither sammelt der damals unterlegene Arnault ebenfalls, beraten durch Suzanne Pagé, der ehemaligen Direktorin des städtischen Pariser Museums für Moderne Kunst. Arnault kaufte das Auktionshaus Phillips, ergatterte das Kunstmagazin Connaissance des Arts und läßt sich zur Zeit von Architekt Frank Gehry im Bois de Boulogne ein spektakuläres Museum für seine Sammlung bauen. Gerade durfte der Berliner Künstler Anselm Reyle, bekannt geworden durch die Sammlung Pinault, für Arnaults Marke Dior Handtaschen und Accessoires entwerfen. Die Konkurrenz der beiden Milliardäre Arnault und Pinault läßt in Frankreich sogar Präsidentenwahlkämpfe verblassen. 

Am liebsten erwerben sie, was andere auch erstreben, sich aber nicht leisten können. Möglichst früher, oft teurer, manchmal auf gerissenere Art. Arnault selbst hat keinerlei genuines Interesse an Künstlern und ihren Werken und stellt das auch offen zur Schau, Pinault hingegen unternimmt gelegentlich sogar abenteuerliche Eskapaden für seine Investitionen. Legendär sein Trick, sich am Vortag der Eröffnung der Art Basel als Bauarbeiter verkleidet in die Messehallen zu schleichen. Oder auch sein Wutanfall, als eine Galerie in Beijing Werke chinesischer Künstler verkaufte, bevor er sie gesichtet hatte.

Die 8,1 Millionen Dollar, die er 1990 in New York für den Grundstein seiner Sammlung, einen Mondrian, bezahlte, waren Kleingeld, jedoch Anlaß für eine kapitale Entscheidung: Die Investition in Kunst. „Geschäftsleute sind wie Jagdhunde“, meinte er einmal, „wenn sie zuviel in Salons rumhängen, verlieren sie die Witterung. Ich bin nicht in Salons aufgewachsen.“ 

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