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Cover Lettre International 53, Rebecca Horn
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Inhaltsverzeichnis

LI 53, Sommer 2001

Ein peruanischer Japaner

Die Regierung des Alberto Fujimori und der Mann im Hintergrund

(...) Damals, 1990, hatte man eher ungläubig auf Fujimoris Wahl reagiert. Er war als aussichtsloser Kandidat gegen Vargas Llosa angetreten, dem der Sieg im Kampf um einen der unattraktivsten Jobs der Welt längst sicher schien. Alan García, der scheidende Präsident, hinterließ ein ökonomisches Desaster. Seit er angesichts des riesigen Schuldenbergs einen Zahlungsstopp verhängt hatte, war Peru für die Finanzinstitutionen der Welt zu einem Paria geworden; die Inflation betrug 7.650 Prozent. In den Bergdörfern um Ayacucho mordete die chiliastische, maoistische Guerillabewegung Sendero Luminoso - Der Leuchtende Pfad - systematisch sämtliche Bezirksbeamten, kappte die Überlandleitungen und terrorisierte die Bauern, bis sie Verpflegung und Unterschlupf gewährten. Die Grausamkeit seiner Rebellion sowie ihr offenbar unaufhaltsamer Vormarsch verliehen dem ehemaligen Philosophieprofessor Abimael Guzmán, dem Anführer des Sendero, in den Augen seiner Landsleute gleichsam mythische Kräfte. 1990 waren knapp 5.000 Menschen verschwunden, über 19.000 waren tot. Die Aufgaben, die den erfolgreichen Kandidaten erwarteten, waren also nicht gerade beneidenswert.

Doch Vargas Llosa hatte sich in seinem Wahlkampf überhaupt nicht um den Leuchtenden Pfad gekümmert. Lange Jahre war er im Ausland gewesen und erst 1987, als er sich gegen Garcías Verstaatlichung von Perus Banken wehrte, in die Politik gegangen. Sein Protest fand die Zustimmung einer empörten Mittelklasse und weitete sich schließlich zu einer großangelegten Kampagne um das Präsidentenamt aus, zu der sogar amerikanische Wahlkampfberater und eine Plattform für die freie Marktwirtschaft gehörten. Peru, so hatte Vargas Llosa behauptet, könnte zur Schweiz Lateinamerikas werden, eine kühne Prognose für ein Land, dessen Ökonomie in den Augen der Welt darniederlag. Als ich Vargas Llosa damals aufsuchte, stand er noch völlig im Bann des Neuen. Seine Nachforschungen hatten ergeben, daß die Wähler "zutiefst enttäuscht" von Perus etablierten Parteien waren und daß sie sich ein neues Gesicht wünschten. Eine Zeitlang sah es denn auch so aus, als erfüllte er diese Erwartungen, doch verschreckten seine dem freien Markt verpflichteten Pläne die ärmeren Wähler, die glaubten, die Hauptlast des nötigen Stellenabbaus tragen zu müssen. Dazu wurde sein Wahlkampf in Lima von bürgerlichen und auf dem Land von etablierten politischen Kräften geführt, die nicht gerade begeisterten Anklang bei der breiten Masse fanden. Doch Vargas Llosa hätte gewinnen können, wäre nicht ein Gesicht aufgetaucht, das noch unverbrauchter als das seine war.

Anfangs fiel es allgemein schwer, den seltsamen Akademiker mit dem japanischen Namen ernst zu nehmen. Seine Plakate waren selbstgemacht und verkündeten, was die Quintessenz seines politischen Programms auszumachen schien: Ehrlichkeit, technische Entwicklung und Arbeit. In seinem Spanisch schwang nur ein Hauch von Japanisch mit.

(...)

"Wenn Sie Alberto Fujimori verstehen wollen", erklärte mir ein Börsenmakler, "müssen Sie wissen, was das Wort mecer bedeutet." Der Börsenmakler kannte Fujimori von der Universität, und er versuchte, mir das Rätsel der Persönlichkeit seines alten Bekannten zu erklären.

"Mecer sagt man, wenn man ein Baby besänftigen, es von dem ablenken will, was es eigentlich braucht. So benehmen sich hier die Menschen; ohne einem jemals etwas direkt zu verweigern, geben sie einem nicht, was man haben will. So kann man Lügen erzählen, ohne für jemanden gehalten werden zu können, der Lügen erzählt. Die ganze peruanische Kultur basiert auf diesem Erzählen von Lügen."

An diese Bemerkung mußte ich noch oft denken, als ich mich in das Labyrinth von Alberto Fujimoris Geschichte stürzte: Wenn ich einem Politiker zuhörte, der mir allen Ernstes etwas erzählte, das dem in der Woche zuvor Erzählten völlig widersprach, oder wenn ein Journalist mir versicherte, daß er die Wahrheit spreche, obwohl ich wußte, daß dies kaum stimmen konnte, oder wenn eine Anwältin mir in die Augen sah und mich tatsächlich einen Moment lang von der Unschuld ihres Mandanten überzeugte. Manchmal war ich mir bereits sicher, daß in Peru einfach alle logen, und daß viele längst vergessen hatten, daß sie logen.

Der heftige Druck, den Montesinos ausübte, sorgte dafür, daß auch die Berichterstattung der meisten peruanischen Medien auf Lügen zu basieren schien. Montesinos finanzierte eine Reihe populärer Zeitungen -eine eigene Regenbogenpresse, um seine Widersacher zu attackieren –, und indem er lukrative Regierungsaufträge vergab oder vorenthielt, sorgte er dafür, daß auch jene Fernsehsender und Zeitungen, die er selbst nicht finanzierte, die Zügel nicht schießen ließen. Sollten sie die Spielregeln dennoch nicht begriffen haben, wurden die Finanzbehörden angewiesen, ausführliche Buchprüfungen vorzunehmen und riesige Summen zu fordern, gegen die das Opfer dann vor einem Richter klagen konnte, der auf Montesinos Gehaltsliste stand. Diese Methode wurde exemplarisch am Schicksal des Senders Channel 2, Frecuencia Latina, durchexerziert.

Im August 1996 hatte Channel 2 die Behauptung des Drogenhändlers Demetrio Chávez (alias El Vaticano) ausgestrahlt, daß er Montesinos Anfang der neunziger Jahre monatlich fünfzigtausend Dollar Schutzgeld gezahlt habe; außerdem hatte Chávez die Mitschrift eines Gesprächs mit peruanischen Offizieren vorgelegt, die dafür bezahlt worden waren, das Kokain in ihren Hubschraubern zu transportieren. Im folgenden April zeigte der Sender einen Bericht über die Folterung von Leonora La Rosa, Offizier in der Armee. Sie behauptete unter anderem, daß man ihr befohlen habe, für Montesinos’ Sammlung belastender Videobänder einen Offizier zu verführen. Danach war La Rosa zum Krüppel geschlagen worden. Ein anderer weiblicher Offizier, Mariella Barreto, hatte weniger Glück gehabt: Einen Monat zuvor war ihr enthaupteter und zerstückelter Leichnam am Straßenrand gefunden worden; sie hatte verkündet, daß sie Informationen über jene Einheit besäße, die für das Massaker an der Universität La Cantuta verantwortlich sei und daß sie wisse, wo die Opfer begraben worden waren. Dann strahlte der Sender einen Beitrag über Montesinos’ Steuererklärung aus, die Einnahmen von mehr als einer halben Million Dollar angab, eine Summe, die sich mit seinem bescheidenen Einkommen wohl kaum erklären ließ. So etwas hörte und sah Montesinos nicht gern. Der Sender wurde einer Steuerprüfung unterzogen, und als man den eingebürgerten Peruaner Baruch Ivcher, Eigner des Senders, wegen Waffenverkaufs an Ecuador verklagte (1995 hatte Peru mit seinem Nachbarland einen kurzen Krieg geführt), verließ er fluchtartig das Land; die Staatsbürgerschaft wurde ihm aberkannt. Die Kontrolle über seinen Fernsehsender ging an die Minderheitenaktionäre, und Journalisten, die zum ehemaligen Eigner hielten, kündigten freiwillig oder wurden gefeuert.

Vorkommnisse wie der Fall Ivcher stärkten Montesinos’ Macht und verbreiteten nachdrucksvoll die Botschaft: Wie eklatant auch die Ungerechtigkeit, Montesinos’ Maschinerie ist nicht aufzuhalten. Als Fujimori dann im Juli 2000 nach einer hemmungslos unfairen Wahl und unter massivem öffentlichem Protest die dritte Amtszeit antrat, schien die Sache der Demokratie rettungslos verloren. Allem Anschein nach war Montechino unbesiegbar.

Im August klingelte dann Luis Ibericos Telefon. Und wenige Wochen später war das Regime zusammengebrochen.

Iberico, einer jener Journalisten, die unter Protest beim Channel 2 gekündigt hatten, war Kongreßabgeordneter geworden, und wir trafen uns in einem Café im Bezirk San Isidro. Er beschäftigte seit jenen Tagen einen hünenhaften Leibwächter, der uns aus einem Hyundai Galloper beobachtete, während sich Iberico an die Ereignisse des letzten Sommers erinnerte. Ein Mann habe ihn angerufen und behauptet, ein Video zu besitzen, das ihn interessieren dürfte. Auf Iberico sei er wegen dessen Arbeit beim Channel 2 gekommen. Man vereinbarte ein Treffen in einem Wohnhaus.

"Ich wurde nach oben geführt", erzählte Iberico, "und wenige Minuten später erschien ein Mann. Er war ziemlich nervös. Er trug einen Hut und hatte - ganz in der Manier billiger Spionageromane - den Mantelkragen hochgeschlagen. Ich stellte keine Fragen. Das Zittern seiner Hände war nicht zu übersehen. Er ging zum Videorecorder, stellte ihn an und spielte das Band ab."

Dieses Video, so erklärte ihm sein Kontaktmann, stamme aus Montesinos’ umfassender Sammlung -etwa zweieinhalbtausend belastende, in Montesinos’ Büro im S.I.N. gelagerte Bänder, nützliche Gedächtnishilfen für die vielen, die er über die Jahre korrumpiert hatte. Auf dem Video, das Iberico gezeigt wurde, konnte man sehen, wie Montesinos dem oppositionellen Kongreßabgeordneten Alberto Kouri Geld im Wert von fünfzehntausend Dollar überreichte, ihm ein Gehalt von weiteren fünfzehntausend Dollar monatlich sowie dreißigtausend Dollar Wahlkampfkostenerstattung für den Fall zusicherte, daß er die Seiten wechselte und Fujimori in seiner dritten Amtszeit unterstützte.

"Plötzlich begriff ich, daß dies das Ende von Montesinos sein konnte", berichtete Iberico. "Der Mann behauptete, noch mehrere Bänder zu haben, auf denen andere Kongreßabgeordnete zu sehen seien. Er nannte mir ihre Namen. Er habe zudem noch weitere Unterlagen, so etwa die schriftlichen Versicherungen von zwei Fernsehanstalten, der Opposition während des Wahlkampfs keine Sendezeit einzuräumen." Der Preis für das Video betrug einhunderttausend Dollar. "Es hatten mehrere Leute ihre Hände im Spiel, und das Ganze war ziemlich gefährlich", fuhr Iberico fort. "Sie baten uns um Hilfe für den Fall, daß sie rasch das Land verlassen mußten."

(...)

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