LI 82, Herbst 2008
Obamas Zumutung
Zum Versuch eines schwarzen Mannes, das Weiße Haus zu erobernElementardaten
Textauszug
Vertreter John McCains insinuieren, Obama ziehe die Rassenkarte und  lenke Kritik ab, indem er sich als Opfer rassistischer Angriffe sehe,  wohingegen Obama seine Gegner nie des Rassismus beschuldigt, sondern  immer eine andere Interpretation für besagte Bemerkungen ins Feld führt,  denn er muß jeden Hinweis darauf, daß er sich als schwarzen  Quotenkandidaten betrachtet, vermeiden. Man könnte sagen, die bloße und  offensichtliche Tatsache von Barack Obamas Schwarzsein ist der erste Zug  in diesem üblen Spiel und daß er die Rassenkarte einfach dadurch zieht,  daß er sich nicht unterwerfen will (bei allem Respekt für die  afroamerikanische Denkweise You can’t win for losin’ -„Man  kann nicht gewinnen, weil man ja doch verliert“). In dieser  Bagatelle aus Bluff und Prahlerei steckt auch die Frage, ob das  Ausspielen der Rassenkarte den Spieler zum Rassisten macht. Lee Atwater  und seine Koarchitekten der Southern Strategy hielten diese Frage  vermutlich nicht für relevant. Sie suchten etwas, das funktionierte, und  die Rassenkarte war As und Joker zugleich. Sind Waffenhändler  rechtmäßige Geschäftsleute, die eine nachgefragte und notwendige Ware  anbieten, und sind sie für die Verheerungen, die ihre Ware anrichtet,  verantwortlich? Sind sie Kriegshetzer? Ist neutrale Absicht eine  brauchbare Verteidigung? Allerdings zeitigt die Macht der Rassenkarte  Folgen jenseits dessen, was den Charakter eines einzelnen ausmacht und  was nicht. Jedes Mal, wenn sie ins Spiel gebracht wird, wird eine  spaltende Energie freigesetzt, die im Gemeinwesen Zwist und gar Gewalt  schürt, als sei eine Genehmigung dazu erteilt worden. Zweifellos gab es  Teile in der amerikanischen Bevölkerung, die ohnmächtigen Ärger bereits  über Obamas Aufstieg empfanden, doch mit dem schleichenden,  unterschwelligen Einsatz der Rassenkarte gingen zunehmend Vorfälle  nackter Aggression einher: Junge Wahlkampfhelfer in Pennsylvania wurden  als nigger-lovers beschimpft, skurrile Graffiti auf  Wahlkampfbüros gesprüht; auf dem Parteitag der texanischen Republikaner  fragten Buttons: „Wenn Obama Präsident ist, sagen wir dann immer  noch ‘Weißes Haus’?“; Obama als Affe auf T-Shirts und als  „Spielzeug“, im überregionalen Fernsehen wird Michelle Obama als Barack’s  Baby Mama bezeichnet – ein Begriff für junge unverheiratete  Mütter, die mit dem Vater ihrer Kinder keine Beziehung mehr haben. Wie  man es von einem Land erwarten kann, in dem der Ku-Klux-Klan  rund 150 Gruppen in 34 Staaten hat, gab es im Lauf des Wahlkampfs  verstärkte Aktivitäten auf Webseiten von Neonazis und Befürwortern der  Rassentrennung. Der Verantwortliche einer solchen Webseite sagt: „Es  ist gut für unsere Webseite, wenn die Öffentlichkeit unter Druck steht,  wenn die Spritpreise steigen, wenn die Wohnsituation schwierig ist,  wenn ein Schwarzer Präsident werden könnte.“ Er räumt ein, daß es  bei Organisation und Ausnutzung ihres Zulaufs noch hapert, allerdings  glaubt er, die jetzige Zeit könnte der Anfang einer triumphalen Rückkehr  ihrer Ideologie werden oder aber auch deren Ende.
Wie aber kann  man das Ende eines solch furchtbaren Erbes garantieren, wenn die Kultur  von Codewörtern und belasteten Begriffen nur so überquillt (wovon die  Jüngeren meist nichts wissen, da das Studium der Geschichte so lästig  ist.) So zum Beispiel:
„Er ist jung.“ Barack Obama ist  jetzt 47 Jahre alt, ein Jahr älter als Bill Clinton bei dessen  Amtseinführung und vier Jahre älter als John F. Kennedy. Wegen einer  vernünftigen Lebensweise und seiner Gene wirkt er jünger, aber er ist  kein junger Mann. Schwarze erinnert dieses Herumreiten auf seiner Jugend  daran, daß männliche Schwarze von Kindheit an bis ins hohe Alter boys  genannt werden. Wir ärgern uns darüber, halten es für erniedrigend. Das  weniger beleidigende Konstrukt besagt, Obama gehöre einer neuen  Generation an, nicht der „großen Generation“, die die Wirt-schaftskrise  überlebt und im Zweiten Weltkrieg triumphiert hat, nicht den Babyboomern  der Nachkriegszeit – aber es bleibt ein bitterer Nachgeschmack.
„Er  ist gruselig.“ Er ist dunkel, das heißt nicht weiß.
„Ich  kenne ihn nicht.“ Wie viele von denen kennen schon John McCain? Er  ist weiß wie sie, daher vertraut und bekannt.
„Er ist  unamerikanisch“, „… ein Muslim“, „… Ausländer.“  In einer Welt des „Wir gegen die“ ist er einer von je-nen, denen man  nicht über den Weg trauen kann.
Seit dem Beginn von McCains  Angriffsmaschine: „Er ist arrogant“ (ein Mangel an  Selbstvertrauen ist nicht gerade eine Voraussetzung für ein höheres Amt  und fehlt auffallend auf allen Korridoren der Macht).
„Er ist  unverschämt.“ Er will nicht warten, bis er „dran“ ist, das heißt:  Er ist „hochnäsig“, auch dies ein klassischer Code, der ins 19.  Jahrhundert zurückgeht, wo er für Neger gebraucht wurde, die sich  weigerten, „ihren Platz“ an- und einzunehmen – ein Vergehen, das allzu  oft mit Lynchen bestraft wurde.
Nach der Auslandstour im Juli: „Er  ist eine Berühmtheit“, von nicht größerem Gewicht als zwei junge  Blondinen, die berühmt sind, weil sie berühmt sind – eher ein Sportler  oder Popstar als ein möglicher Staatsmann.
Und dann Michelle: „Michelle  Obama haßt Amerika. Sie ist nicht stolz darauf, Bürgerin von Amerika zu  sein, das ihr doch alles gegeben hat. Sie ist zu geradeheraus.“  Mit anderen Worten: Michelle Obama ist eine zornige schwarze Frau.
Selbst  für jene, die ihren Weg zu Barack Obama gefunden haben und in seiner  gemischten Herkunft und seinem Mangel an sichtbarem Zorn etwas  verlockend „Postrassisches“ sehen, kann seine Frau Michelle  problematischer wirken. In der afroamerikanischen Enklave von Chicagos  South Side geboren und aufgewachsen, mit Eltern aus der Arbeiterschaft,  gilt Michelle Obama häufig als „typischere“ Schwarze, deren  Abschlußarbeit über das Dilemma von Schwarzen, die in Princeton  studiert haben, einen tiefen Haß auf Weiße erkennen ließe, der bis zum  heutigen Tag anhalte – sie sollte nun wirklich keinen Tee im Weißen Haus  ausschenken! Michelle Obamas Rede vor dem Parteitag der Demokraten und  ihr herzliches Auftreten in einem schlichten Kleid waren darauf  angelegt, diesen Befürchtungen entgegenzuwirken. Sie betonte, wie sehr  sie ihre Familie und Amerika liebe, wie normal „amerikanisch“  ihre Familie sei – unerwähnt ließ sie, was sie im Beruf erreicht hat,  und sie zeigte auch nicht ihre austrainierten Oberarme oder wie  geistreich sie sein kann. Am Ende liefen ihre aufgeweckten, hübschen  Töchter zu ihr, und alle sprachen sie mit Daddy auf dem Bildschirm, doch  die Fragen bleiben. Kann Amerika es ertragen, daß diese braune Familie  das Weiße Haus bewohnt? Will es, daß diese kleinen braunen Mädchen über  seinen Rasen rennen? Manche Herzen mögen geschmolzen sein, andere  blieben steinern.
(...)
 
   
   
   
  