LI 75, Winter 2006
Fälscher von Format
Vom Bedürfnis, betrogen zu werden, und der Kunst, es zu befriedigenElementardaten
Genre: Essay, Kriminalgeschichte, Recherche
Übersetzung: Aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann
Textauszug
So wie die Wörter nicht die Dinge sind, ist die Kunst nicht das, was sie  darstellt - hierin wirkt das ehrgeizige Streben aller "Realismen" naiv,  seien sie nun sozialistisch oder nicht. Der Mensch denkt, redet,  träumt, liebt nur über die Vermittlung einer Galaxie von Darstellungen,  die sich verschachteln und überlagern, vor allem, wenn er Krieg führt.  Auch das bedeutet der Mythos vom Sündenfall: Fern vom Paradies ist jeder  unmittelbare Zugang zum Wahren verloren, außer vielleicht für die  Wahn-sinnigen, die Mystiker, welche schweigsame Leute sind, und zuweilen  die Kinder, wenn sie nichts sagen. So ist die Lage des Menschen, die  Rimbaud in einer blitzartigen Erkenntnis zusammengefaßt hat: "Das  wahre Leben ist anderswo." Diese Formulierung trifft jeden von uns  im tiefsten Inneren, und ihre rätselhaften Nachwirkungen bleiben so  lange bestehen, daß sich die Werbung und gewisse Parteien auf sie  berufen haben und uns mit ihren Waren oder ihren Programmen versprechen,  endlich das "wahre Leben" wiederzufinden. Man weiß ja, was bei einer  derart schamlosen Wiederverwertung herauskommt. Wenigstens hat die  Täuschung unfehlbar und ironisch bewiesen, wie richtig dieser Satz ist.
Man  darf sich also im allgemeinen kein vorschnelles Bild vom Wahren und  Falschen machen, als wären dies deutlich unterschiedene und sogar  entgegengesetzte Kategorien. Statt dessen hat sich zum Beispiel die  Kunst in vielen Epochen vorsätzlich und unverhohlen durch Nachahmung und  Plagiat entwickelt, indem sie sich des trügerischen und falschen  Scheins, der Anamorphosen und Schimären bediente, die manche Fürsten in  ihren Kuriositätenkabinetten aufbewahrten. Die Kunst ahmt stets die  Kunst nach.
Uns interessiert hier ein eng begrenzter Bereich: die  absichtlichen Täuschungsmanöver geschickter Leute, die Nachahmungen  wirklicher Objekte als echt ausgeben wollen, um daraus Nutzen zu ziehen.  Die Tätigkeit der Fälscher wird durch Gesetze bestraft, selbst wenn  sich deren Definition und das Strafmaß je nach Land und Gesetzbuch  unterscheiden. Als der junge Schüler Giotto eine Fliege auf ein Bild  seines Meisters Cimabue malte, um ihm seine Kunstfertigkeit zu beweisen,  wie es Antonio Filarete in seinem Trattato di architettura (1461)  erzählt, hat er gewiß eine Fälschung begangen: Der Meister glaubte  kurze Zeit daran, und der Schüler zog daraus Nutzen: Sein Talent wurde  anerkannt. Man gestattet einem Maler, in einem Museum ein Gemälde zu  kopieren, unter der Bedingung, daß er von den Maßen des Originals  deutlich abweicht. Wenn aber der Kopist seine Arbeit als das wirkliche  Werk eines Meisters ausgibt und sie zu einem Preis verkauft, der dessen  Marktwert entspricht, wird das Geschäft als rechtswidrig beurteilt.
Diese  Antwort wirkt einfach. Tatsächlich ist sie kurz und knapp. Hat ein  Maler das Recht, Fälschungen zu signieren, die man ihm aus  Komplizenschaft oder Leichtfertigkeit zuschreibt, weil er das für  vorteilhaft hält oder er sich nicht mehr erinnert, was er ein paar Jahre  zuvor getan hat? Hat er das Recht, wie Dalí leere Blätter zu signieren?  Und was soll man über einen Fälscher sagen, der keine vorhandenen Werke  nachahmt, sondern andere schafft, etwa unbekannte Vermeers? Oder über  jene russischen Künstler, die Mitte der achtziger Jahre in den Pariser  Vororten eine angeblich vom kommunistischen Regime totgeschwiegene,  neoimpressionistische Malerbewegung – die „Schule von Wladimir"  – völlig frei erfanden? Oder über diejenigen, die andere,  nämlich Sachverständige, über die Zuschreibung der von ihnen  vorgestellten Gemälde entscheiden lassen, ohne sich selbst zu äußern?  Wenn man einen Geldschein herstellt und dabei eine existierende Banknote  nachahmt, ist das ein Verbrechen – doch worin liegt der  Betrug, wenn es die Münze oder den Schein nicht gibt? Hierin besteht das  Gleichnis vom Falschmünzer, der einen Zwölf-Euro-Schein in Umlauf  bringen will und einen vorsichtigen Geschäftsmann um Kleingeld bittet,  worauf dieser ihm antwortet: "Möchten Sie lieber drei Vier-Euro-Scheine  oder zwei Sechs-Euro-Scheine?"
Manche fertigen nie gesehene  Objekte an, die man sich aber vorstellt und herbeiwünscht, einen  Drachen, eine Sirene, einen Außerirdischen. Sind sie nun Betrüger, oder  betrügen sich die anderen selbst? Darf man sie bestrafen, wenn sie  nichts beanspruchen? Wenn sie behaupten: "Das habe ich in meinem Garten  gefunden, was mag das wohl sein?" Und wenn sich die anderen spontan auf  per-sön-liche Spekulationen einlassen: Das sei der Knochen einer  Dinosauriermutante, das fehlende Kettenglied zwischen dieser und jener  Art und so weiter? Wer ist daran schuld? Nicht die Erfinder, sondern  offensichtlich die Erklärer. Deshalb hüten sich kluge Psychoanalytiker,  einen ihnen berichteten Traum zu deuten – einen Traum, den man  im Wachzustand ersonnen oder den das hinterhältige Unbewußte im Schlaf  gestaltet hat, um dem Analytiker zu gefallen –, und mit einer  unwiderlegbaren Retourkutsche geben sie den Ball wieder an den Träumer  zurück: "Und Sie, was halten Sie davon?"
Wie es der Philosoph  Roger Pouivet in einer Studie über die Ontologie der Fälschung (L'Ontologie  du faux, 2004) formuliert hat, ist es keine innere Eigenschaft  eines Objektes, gefälscht zu sein: "Nichts ist eine Fälschung, so  wie etwas ein Mensch oder eine Tulpe sein kann. In einer bestimmten  wertenden Darstellung sind bestimmte Dinge falsch, denn sie lassen sich  nicht der Person oder Institution zuschreiben, von denen man behauptet,  daß sie sie getan oder geäußert haben. (...) Die Echtheit ist eine Sache  der Identität. Die Identität ist in dem Sinne relativ, daß X an sich  nicht echt oder falsch ist, vielmehr ist es ein echtes oder falsches Y.  Wenn wir sagen, daß ein Bild, ein Paß oder eine Banknote gefälscht  seien, erklären wir, daß sie, obwohl es nicht so scheint, nicht zu  derselben Art wie etwas anderes – Z – gehören, das wirklich das Werk von  Y ist."
(http://www.interdisciplines.org/artcognition/papers/2/language/fr)
Fälscher  sind manchmal sympathische und oft amüsante Leute. Mit ein paar von  ihnen habe ich mich beschäftigt, zudem auch mit einigen, die weniger zum  Lachen sind. Denn das Reich der Fälschung umfaßt alles, wie das des  Teufels, und obwohl Täuschungen nur Scherze oder Gaunereien sind, nur  den Stolz oder den Geldbeutel verletzen, lassen manche Blut fließen. Die  Propaganda nährt sich von Fälschungen; sie benutzt sie, um Kriege  vorzubereiten oder zu rechtfertigen. Die schlimmsten subtilen und  ungreifbaren Fälschungen führen den Verstand in die Irre. Dummheit ist  kein harmloses Übel.
CESLAW BOJARSKI
Es war einmal in der  Mitte des letzten Jahrhunderts, im Departement Seine-et-Oise, ein  ruhiger, allgemein geachteter und verheirateter Mann, Vater von zwei  Kindern, ein polnischer Flüchtling, der sich als Ceslaw Bojarski  vorstellte – wenn er sich überhaupt vorstellte, denn er war  zurückhaltend und ebenso unauffällig wie sein Häuschen in Montgeron.  Außerdem reiste er meistens kreuz und quer durch Frankreich. Eine kleine  Gestalt aus einem Roman Simenons, einer von diesen grauen Schatten,  dessen Äußeres nichts von dem Abgrund in seinem Inneren verrät. Seine  Nachbarn verstanden nicht, daß die Polizei am Anfang des Jahres 1964  einen solch ehrenwerten Bürger heimsuchen konnte.
Im Januar 1951  hatte die Bank von Frankreich gemeldet, daß in der Pariser Region  falsche „blaue", beinahe makellose Tausend-Franc-Banknoten der Ausgabe  von 1945 in Umlauf waren. Sie fielen nur durch winzige Kleinigkeiten  auf, die gleichen, die wie ein Fingerabdruck wirkten und die man 1958  bei den ausgezeichneten, an verschiedenen Stellen des Landes  auftauchenden Fälschungen des "Land und Meer" darstellenden  Fünftausend-Franc-Scheins feststellte. 1964 kamen falsche neue  Hundert-Franc-Noten mit dem Bild Bonapartes hinzu, und nun war man  überzeugt, daß diese drei Fälschungen ein und denselben Urheber hatten.  Ein einzelner falscher Bonaparte steckte gewöhnlich in einem Geldbündel,  bis man eines Tages auf ein ganzes Bündel von zehn falschen Scheinen  stieß, das jemand in der Post eingezahlt hatte, um Schatzanweisungen zu  kaufen, und das in einem Büro des XVII. Arrondissements abgestempelt  war. Ein verhängnisvoller Fehler. Ein erster Verdächtiger wird ermittelt  und beschattet. Er führt zu einem zweiten, Schuwalow, einem Russen, der  sehr enge Beziehungen zu seinem polnischen Schwager Dowgierd unterhält.  Die beiden Männer werden wegen des Besitzes dieses Falschgelds  festgenommen und geben schließlich den Namen Bojarskis preis – ihres  alten Freundes, des führenden Kunstgenies.
Seine Familie sieht  betroffen zu, wie man ihm Handschellen anlegt, und er protestiert  entrüstet. Die Hausdurchsuchung dauert Stunden. Man entdeckt einen  Tresor, der Schatzanweisungen über 72 Millionen enthält, aber nicht die  Fälscherwerkstatt. Ein Inspektor gießt aus Versehen ein Getränk auf den  Linoleumbelag des Bodens, der die Flüssigkeit sofort aufsaugt. Die  Polizisten heben eine Falltür hoch, noch eine – dort kommt  Bojarskis unterirdisches Versteck zum Vorschein, und der Mann legt in  aller Ruhe ein Geständnis ab.
Jahrelang ist er im Nachtzug durch  Frankreich gefahren, um seine Fälschungen abzusetzen, indem er hier und  da ein paar Kleinigkeiten kaufte, ohne überhaupt in einem Hotel  abzusteigen. Eines Tages bekam er diese Reisen satt und verkaufte  Dowgierd ein Falschgeldpaket, wobei er ihm empfahl, gewissenhaft die  gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie er selbst zu beachten. Unter anderem  dürfe er niemals eine Schatzanweisung bei der Post mit einer Blüte  kaufen. Dowgierd und sein Schwager hatten es zu eilig und mißachteten  seine Anweisung. Ein Stück Linoleum besiegelte nun seinen Fall. Der  ehemalige Schüler des Institut Polytechnique erzählte den  Polizisten nicht ohne Stolz und in schulmeisterlichem Ton, wie lange er  sich in Geduld geübt habe; von seinen schlaflosen Nächten, seinen  Kunstgriffen, seinen erstaunlich einfallsreichen handwerk-lichen  Verfahren. Er hatte 300 Millionen alter Franc in zwölf Jahren allein  hergestellt. Die Richter billigten ihm zwanzig Jahre hinter Gittern zu.
Wenn  Bojarski immer noch unübertroffen im Pantheon der Falschmünzer thront,  hat er gleichwohl nicht den Grundstein zu diesem Gebäude gelegt.  Falschgeld ist eine logische Folge des Handels. Als der Tauschhandel  durch den leichter und bequemer zu bewältigenden Austausch von  Metallstücken aus Bronze, Silber oder Gold ersetzt wurde, bemühten sich  entfernte Vorläufer des Polen, das eigentliche Symbol jedes Wertes  nachzumachen: das Geld, dieses wunderbare Mittel, das nicht riecht,  keine Spuren hinterläßt und in der Gesellschaft, in der es zirkuliert,  wie etwas Flüssiges von Hand zu Hand rieselt. Viele Museen besitzen  Exemplare aus der galloromanischen Periode, vor allem Asse aus Bronze.  Bronze wurde als ein Edel-metall angesehen, weil die Metalle, aus denen  sich diese Legierung zusammensetzt (Kupfer und Zinn), einen hohen Preis  hatten und es schwierig war, sie zusammenzuschmelzen. Die Falschmünzer  schmolzen lediglich billige Metalle, die sie mit einer Bronze- oder  Silberschicht überzogen. Manche Kaufleute warfen die Münzen auf eine  Waage, um sich das Zählen zu ersparen, und einige Fälscher, die es allzu  eilig hatten, übersahen wohl dieses kleine Problem mit dem Gewicht.  Ihre Ungeschicklichkeit machte die ehrlichen Leute mißtrauisch, und man  gewöhnte es sich an, die Münzen einzukerben, indem man auf sie biß, um  sich zu überzeugen, daß sie innen echt waren.
Hier müßte man sich  in einer Abschweifung mit den Alchimisten beschäftigen, die während des  ganzen Mittelalters nach dem Stein der Weisen suchten, der Blei in Gold  umwandeln sollte, denn Gold übernahm sehr früh die Rolle einer höchsten  Währung. Im 16. Jahrhundert trieben zwielichtige Gelehrte und alle  möglichen Scharlatane ihr Unwesen in den winzigen Häuschen der Goldgasse  im alten Prag. Rudolf II., der herrschende Kaiser, der sich für okkulte  Wissenschaften begeisterte, war dermaßen darauf versessen, den  sagenhaften Stein zu erwerben, daß er sich eines Tages von einem sehr  hartnäckigen Abenteurer, dem Engländer Edward Kelley, prellen ließ.  Diesem – einem auf Abwege geratenen Schüler John Dees - hatte  man in England we-gen Urkundenfälschung beide Ohren abgeschnitten.  Später war er nach Prag geflohen und verkündete, er könne Quecksilber in  Gold verwandeln. Es gelang ihm glänzend, den Kaiser und seine Höflinge  zu übertölpeln, allerdings nur ein einziges Mal. Er wurde geadelt und  richtete sich in einem prächtigen Gebäude ein, das als „Faust-Haus"  bekannt war. Doch als ihn der Kaiser drängte, konnte er seine Großtat  nicht wiederholen, und Rudolf II. ließ ihn ins Gefängnis werfen und  foltern. Kelley weigerte sich zu sprechen und entkam aus der Burg: Er  kletterte an einem Strick hinab, der jedoch unglücklicherweise zerriß.  Bei seinem Sturz brach er sich ein Bein, das man ihm amputieren mußte,  sobald er wieder gefaßt war. Der sich auf eine Holzprothese stützende  und begnadigte Alchimist lebte nun von Almosen und kam wegen Schulden  ins Gefängnis zurück. Er wollte abermals mit einem schadhaften Strick  entkommen und verlor dabei sein zweites Bein. Ruiniert, mit  abgeschnittenen Ohren und amputierten Beinen, vergiftete sich der Mann,  der behauptet hatte, Gold zu machen, nachdem er durch seinen Mut die  Herzen der Prager gewonnen hatte.
(...)
 
   
   
   
  