LI 79, Winter 2007
Der Pakistanische Freund
Kann der Militärstaat eine islamistische Revolution verhindern?Elementardaten
Textauszug
Was mit Musharraf, der Präsidentschaft und dem Parlament auch immer  geschieht, es dürfte feststehen, daß das Militär der beherrschende  Akteur in Pakistan bleibt, solange es das will. Während der elfjährigen  Demokratie, die auf Zia ul-Haqs Tod folgte, hatten die zivilen  Premierminister Bhutto und Scharif immer weniger Einfluß auf die  Außenpolitik Pakistans und sein Nuklearprogramm; Benazir Bhutto nannte  den vom Militär dominierten Geheimdienst Inter Services  Intelligence, ISI, einen „Staat im Staat“ und beschuldigte ihn, ihr  Telefon abzuhören. 1990 betrieb die Armee unter dem Vorwurf der  Korruption ihre Ablösung durch einen Präsidentenerlaß. Neun Jahre später  wurde Scharif hinausgeworfen, praktisch mit vorgehaltener Waffe. Ein  hoher Diplomat in Islamabad meinte: „Sollte Musharraf morgen von der  Bildfläche verschwinden, gäbe es ein Treffen hoher Militärs und einen  neuen Armeestabschef, und das wäre, ob vor oder hinter den Kulissen, die  neue Regierung.“
Während der anhaltenden Krise haben sich  die Generäle nie in die Karten schauen lassen. Der pensionierte  Generalleutnant Hamid Gul, ehemals Chef des ISI, erlebte den Übergang  von der militärischen zur Zivilherrschaft nach dem Tod Zia ul-Haqs 1988;  seiner Meinung nach ist das Militär nach acht Jahren der Machtausübung  bereit, wieder in den Hintergrund zu treten. „Es wird in die  Kasernen zurückkehren und kein Problem damit haben, weil es die  Regierung nach wie vor beeinflussen wird. Das Militär wirft lange  Schatten, und sie wären geschützt.“
Die meisten Beobachter  glauben jedoch, daß viele Offiziere – jedenfalls die oberen,  privilegierten Ränge – das Gegenteil beabsichtigen und es  unwahrscheinlicher denn je ist, daß sie ihre Macht abgeben: Sie haben  sich an die Vergünstigungen und Privilegien des politischen Lebens  gewöhnt. (…)
Islamabad, Pakistans Hauptstadt, ist eine  saubere, fast schon sterile Stadt mit breiten Boulevards, imitierter  Moghul-Architektur und baumbestandenen Parks. Die Präsenz des Militärs  ist nicht eben erdrückend; man sieht kaum Uniformierte oder Soldaten mit  Gewehren auf der Straße. Hat man sich jedoch auf Kultur und Handel der  Stadt eingestellt, erkennt man, wie allgegenwärtig das Militär ist.
An  meinem ersten Abend erhielt ich eine Demonstration davon, wie das  Offizierskorps sich ins politische Leben gedrängt hat: Ein Kollege nahm  mich mit zu einem luxuriösen Hochzeitsempfang für die Tochter des  Innenministers, Aftab Ahmad Khan Sherpao. Ich erwartete, eine Schar  erlauchter Gäste zu treffen, und wurde nicht enttäuscht. Allerdings war  ich überrascht – bei einer Hochzeit für ein ziviles Regierungsmitglied  –, wie viele Militärs sich darunter befanden: Generäle und pensionierte  Generäle, darunter mehrere Korpskommandeure, der Vizechef des  Armeestabs, Musharrafs Presseoffizier und – nur kurz – Musharraf selbst.  Fast alle trugen, wie Musharraf auch, Anzug, nicht Uniform, aber jeder  wußte, wer sie waren. Mein Kollege, ein Redakteur aus Islamabad, nannte  sie mir reihum, wie sie umherstolzierten, anderen Gästen wie Fürsten  zunickten, die höheren in Begleitung von Adjutanten und Jungoffizieren,  auch sie in Zivil. Musharraf schritt heiter durch die Menge, schüttelte  Hände und lächelte freundlich. Mein Kollege bemerkte gequält: „Die  Grenze zwischen Militärs und Politikern ist in diesem Land vollkommen  verwischt.“
Seit Musharraf an der Macht ist, hat die Armee  ihre Rolle im öffentlichen Sektor dramatisch ausgeweitet. „Tausende  von Offizieren sind jetzt in zivilen Berufen beschäftigt; sie haben von  allem das Beste“, sagt General a. D. Aslam Beg, der unter Benazir  Bhutto von 1988 bis 1991 als Armeestabschef gedient hatte. Ein  Oppositionsführer im Parlament hat unlängst berechnet, daß 56000  Beamtenstellen in die Hände von Armeeangehörigen gelangt sind.  Pensionierte Generäle und Brigadegeneräle wurden Rektoren und  Vizerektoren pakistanischer Universitäten, sie stehen an der Spitze der  Post, der Steuerbehörde, der Wohnungsbaugesellschaft und des  Erziehungsministeriums. Pensionierte Generäle sind Gouverneur in zwei  der vier pakistanischen Provinzen.
Die Streitkräfte leiten über  einhundert Privatunternehmen und haben pensionierte Offiziere in den  Chefetagen der bedeutendsten Handels- und Industrieunternehmen Pakistans  untergebracht. Der Leiter des Islamabader Büros eines pakistanischen  Nachrichtensenders sagte, das Militär sei gegenwärtig der Schlüssel zu  einem Posten in der Privatwirtschaft. Viele seien davon überzeugt, daß  man „Arbeit nur bekommt, wenn man jemanden in der Armee kennt“.
Ayesha  Siddiqa, ein bekannter Analyst in Islamabad und Autor von Military  Inc.: Inside the Pakistani Military Economy, meint, die  Streitkräfte seien groß im Immobiliengeschäft, bei Agrounternehmen und  anderen Industriezweigen. Zu ihrem Imperium gehörten Banken,  Kabelfernsehunternehmen, Versicherungsgesellschaften, Zuckerraffinerien,  private Sicherheitsdienste, Schulen, Fluglinien, Frachtdienste und  Textilfabriken. Die Fauji Foundation beispielsweise ist eine  „Wohlfahrtsstiftung“, die vom Verteidigungsministerium geführt wird und  15 Unternehmen umfaßt. Sie bietet Hunderten von pensionierten Offizieren  (viele gehen mit Ende Vierzig in den Ruhestand) einen ruhigen Job,  bezahlt kaum Steuern und leitet die Erlöse in einen Fonds, der  pensionierten Armeeangehörigen zugute kommen soll. Und sie ist nur eine  von mehreren riesigen, vom Militär geführten Stiftungen und Firmen, die  schon vor Jahrzehnten gegründet wurden und seither stetig gewachsen  sind.
Das Vordringen des Militärs in die Wirtschaft ist in  Islamabad unübersehbar. Die Logos der Fauji Foundation und  anderer vom Militär betriebener Konglomerate erscheinen auf LKW, Kisten  und Gebäuden in der ganzen Stadt. Pervez Hoodbhoy: „Sie besitzen  Treibstoffunternehmen. Sie produzieren Kunstdünger, Zement, Seife,  Wasser in Flaschen, sogar Müsli, so daß man ihnen nicht mal beim  Frühstück entkommt.“
Zu den Gästen einer kleinen  Abendgesellschaft gehörten eine Handvoll Reporter, ein  Unternehmensberater und eine junge Parlamentsabgeordnete von Musharrafs  Partei. Allesamt mißbilligten offen das Militär und daß es das  politische und wirtschaftliche Leben im Würgegriff habe. Wir saßen in  einem beengten Eßzimmer, aßen Biryani und tranken Tee, und man erzählte  sich Anekdoten über Militärprivilegien. Der Unternehmensberater war  unlängst nach fünf Jahren aus den USA zurückgekehrt und hatte ein  Projekt in einem von der Armee betriebenen Konglomerat ergattert, zu dem  41 Firmen mit insgesamt 15?000 Angestellten gehören. Er hatte  herausgefunden, daß alle Spitzenjobs des Unternehmens und viele der 41  Firmen mit pensionierten Offizieren ohne formale Berufsausbildung und  mit geringen wirtschaftlichen Grundkenntnissen besetzt waren. „Die  Finanzen wurden von einem Oberst geführt“, sagte er. „Verwaltung,  Risikomanagement, Personal – alles Jobs, die pensionierten Offizieren  als Vergünstigung gewährt wurden.“ Nach Jahren der underperformance  hatte der Konzern die Regierung um eine Sanierung in Höhe von fast  100 Millionen Dollar gebeten. Seine Firma war damit beauftragt worden,  den Laden auf Vordermann zu bringen. Zu den Streitkräften in der  Wirtschaft sagte er: „Die haben die Macht und können machen, was sie  wollen.“
Die Abgeordnete fügte hinzu, die Armee bediene  sich kontinuierlich bei den besten Grundstücken Islamabads und verkaufe  diese oft mit erheblichem Profit weiter. Das Hauptinstrument dieser  Landnahme sei die Defense Housing Authority, die private  Immobilien für die Entwicklung und Verteilung an das Offizierskorps  aufkauft. In der Regel steige der Marktwert des Projekts stark an,  sobald das Militär die Immobilie erwerbe, weil sie damit als  prestigeträchtig und sicher gelte. „Der Corpskommandeur erhält eine  Provision vom Makler und verteilt die Grundstücke an nachgeordnete  Offiziere [zu subventionierten Preisen, J. H.]. Was  übrigbleibt, verkauft er mit enormem Profit an Zivilisten.“
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