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Lettre International 146
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Inhaltsverzeichnis

LI 145, Sommer 2024

Der Bombe Sinn geben

Die Verschwörung gegen Hitler und der Eid der Brüder Stauffenberg

Einige Wochen vor dem 20. Juli 1944 schrieben die Brüder Berthold und Claus von Stauffenberg einen kurzen Text, der sich an den inneren Kreis der Verschwörer richtete sowie an die Brüder selbst. Im Folgenden wurde er als „der Eid“ bekannt und ist in der umfassenden wissenschaftlichen Rezeption des 20. Juli 1944 eher am Rande gewürdigt worden. 

Der Eid des Jahres 1944

Die acht Sätze des Eides verschränken dichterisches Pathos und militärische Präzision: „Wir glauben … Wir wissen … Wir bekennen … Wir wollen … Wir verbinden uns …“ und schließlich „Wir geloben …“. Durch sie schrieben sich die Brüder in eine „Neue Ordnung“ ein  Teil eines geschichtlichen Auftrages der Deutschen, „die Gemeinschaft der abendländischen Völker zu schönerem Leben zu führen“.
     Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der weitere Kreis der Verschwörer des 20. Juli auf vier Texte geeinigt, die nach einem geglückten Staatsstreich zu verwenden wären: einen Aufruf an das deutsche Volk, eine Rundfunkansprache, einen weiteren Aufruf an die Wehrmacht und eine Regierungserklärung. Die beiden Aufrufe und die Rundfunkansprache rechtfertigten den Sturz Hitlers und der nationalsozialistischen Regierung, während die Regierungserklärung das politische Programm der Verschwörer darlegte. Die Regierungserklärung sah vor, daß ein Verfassungsentwurf nach dem Krieg dem deutschen Volk, insbesondere den deutschen Frontsoldaten, zur Bestätigung vorgelegt werden würde. Indem er aus freiem Willen die Bombe unter Hitlers Kartentisch legte, identifizierte sich Claus von Stauffenberg tätlich mit dem breiten programmatischen Kompromiß, der den Staatsstreich antrieb und der in diesen vier Dokumenten seinen Ausdruck fand. Warum erschien es den Brüdern notwendig, ihnen acht Sätze in Eidesform hinzuzufügen?

Der Eid des Jahres 1934

War der Eid des Jahres 1944 erforderlich, um einen früheren Eid auszulöschen? Mit diesem früheren Eid hatten die Brüder dem gedachten Opfer ihres Anschlags Treue geschworen, und sie hatten ihn als Mitglieder der deutschen Wehrmacht geleistet. Er zielte darauf ab, die Beziehung zwischen der Politik und der deutschen Militärmacht neu zu verfassen. 
     Am 2. August 1934 hatte der damalige Reichskanzler Adolf Hitler die Amtsnachfolge Paul von Hindenburgs als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Wehrmacht angetreten. Diese Amtsnachfolge stand im offenen Widerspruch zu der Regelung in der damals gültigen Weimarer Verfassung, wurde aber von den deutschen Wählern einige Wochen später in einer Volksabstimmung bestätigt. Am Tag der Amtsnachfolge waren alle Mitglieder der deutschen Streitkräfte durch Verordnung angewiesen, dem neuen Oberbefehlshaber persönliche Treue zu schwören. Der Eid des Jahres 1934 lautete wie folgt: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“ 
     Das Schwören persönlicher Treue zum Herrscher stand im markanten Widerspruch zu den Eidesformeln, die seit dem Ende der deutschen Monarchie in Gebrauch gewesen waren und auf Treue zum Deutschen Reich und seiner rechtmäßigen Institutionen abstellten.5 Die Eidesformel des Jahres 1919 nuancierte die Selbstverpflichtung durch die Nutzung verschiedener Verben: Soldaten schworen der Reichsverfassung Treue, sie gelobten, das Reich und seine rechtmäßigen Institutionen zu schützen und dem Reichspräsidenten und den Vorgesetzten Treue zu leisten. Diese differenzierten Bezugspunkte der abgestuften Selbstverpflichtung wurden am 2. Dezember 1933 gegen einen Schwur auf „das deutsche Volk und Vaterland“ ausgetauscht. Im letzten Schritt der Kadenz wich dieses Objekt am 2. August 1934 der Personalisierung deutscher Souveränität: Adolf Hitler. Damit hatte sich der Kreis geschlossen, der mit den personalistischen Eidesformeln auf absolute Monarchen im Jahre 1808 begonnen hatte.

(…)

Um die Notwendigkeit des Eides aus dem Jahr 1944 zu verstehen, müssen wir das Verhältnis von staatlicher Form, militärischer Gewalt und revolutionärer Gewalt in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft in Betracht ziehen. Reichswehrminister Werner von Blomberg führte 1934 den Schwur auf Hitler per Dekret ein; damit versicherte das staatliche Militär dem revolutionären Diktator seine unbedingte Loyalität. Im Schwur impliziert ist, daß die revolutionäre Gewalt, wie sie die SA repräsentierte, von nun an überflüssig wäre. Dem Schwur zuvor ging die „Nacht der langen Messer“: Zwischen dem 30. Juni und dem 2. Juli 1934 waren systematische Festnahmen und außerrechtliche Hinrichtungen von SA-Führern unter Hitlers persönlicher Leitung durchgeführt und damit die SA als revolutionäre Gewalt liquidiert worden. 
     Als staatlicher Träger militärischer Gewalt hatte die Wehrmacht den bevorstehenden Schlag gegen die SA öffentlich unterstützt, unter anderem durch ein Bekenntnis zum Führer, das Reichswehrminister von Blomberg unmittelbar zuvor im Völkischen Beobachter veröffentlicht hatte. In der Konkurrenz um Ressourcen und Einfluß begünstigte die Vernichtung der SA als Organ revolutionärer Gewalt die Wehrmacht als Organ staatlicher Gewalt. Sobald Hitler am 2. August 1934 unter Mißachtung der Verfassung die Rolle des Reichspräsidenten und damit die höchste Befehlsgewalt über die Wehrmacht an sich gezogen hatte, wurde der Eid auf alleinige Initiative des Reichswehrministers und des Chefs des Wehrmachtsamtes ohne vorherige Abstimmung mit Hitler eingeführt.10 Der darin versprochene persönliche Gehorsam ist als Tribut zu verstehen, aber auch als Signal, daß Hitlers Macht von nun ab vorwiegend von der militärischen Gewalt der Wehrmacht abhängig sein würde. Diese Abhängigkeit war der archimedische Punkt, an dem die Verschwörer des Jahres 1944 anzusetzen versuchten.
     Das Gehorsamsversprechen des Jahres 1934 war „unbedingt“. Die „Nacht der langen Messer“ und die Kränkung der Verfassung am 2. August 1934 hatten verdeutlicht, auf welches Terrain des Außergesetzlichen diese Unbe-dingtheit den loyalen Soldaten zu führen vermochte. Auch persönliche Kameradschaft und politische Gemeinschaft war ihr unterworfen; schließlich war Röhm eine der wenigen Personen, die Hitler duzte, und viele Opfer der „Nacht der langen Messer“ ließen sich als hochrangige politische Weggefährten Hitlers einordnen. Für das deutsche Militär mußte seit der „Nacht der langen Messer“ und dem 2. August 1934 klar sein, daß seine postrevolutionäre Rolle als äußerster Garant deutscher Politik mit einem extremen Risiko verbunden war.

(…)

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Die kommende Ausgabe Lettre 147 erscheint Anfang Dezember 2024.