LI 150, Herbst 2025
Erziehung in der Hölle
Elementardaten
Textauszug
(…)
Szenen tauchen vor meinem geistigen Auge auf.
In Fuman, einer Kleinstadt im Norden Irans, eröffnete kürzlich ein „Höllenpark“, gedacht als ein Ort der moralischen Unterweisung. Nach den im Internet kursierenden Videos zu urteilen, lodern in dem Park mehrere kleine Feuer, über die in einem sicheren Abstand Holzbrücken führen. Die Menschen sollen beim Überqueren daran erinnert werden, welches Schicksal sie im Jenseits erwartet, wenn sie weiter sündigen und sich der göttlichen Autorität widersetzen. Die Botschaft ist klar: Bereue, solange du noch bereuen kannst. Kehre zurück auf den Pfad des absoluten Gehorsams. Lebe wie ein fügsames Lamm. Geh still geradeaus.
Keine Fragen. Kein Widerspruch.
Der Park soll den Bürgern vor Augen führen, daß Feuer die Antwort auf Rebellion, Zweifel und Ungehorsam ist – nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der nächsten.
Denn im Iran
sind Frauen, die sich weigern, den obligatorischen Hidschab zu tragen – Frauen, die ihr Haar nicht bedecken und daher als potentielle Verführerinnen gelten –, von öffentlichen Orten wie U-Bahnen, Shopping-Malls und Parks ausgeschlossen.
Tragischerweise durften diese widerspenstigen, sündigen Frauen den Park in Fuman nicht betreten.
Zutritt wurde nur gehorsamen, unterwürfigen Frauen gewährt – solchen, die jung heiraten, viele Kinder bekommen und unter der Last heiliger Arbeit und Dienstbarkeit schnell altern.
Dennoch sind sie würdig genug, die formellen und informellen Ehen ihrer Männer mit jüngeren Frauen zu ertragen und dabei Selbstbeherrschung auszustrahlen.
Frauen, die gelernt haben, nicht nur ihre Haare und ihr Gesicht zu verschleiern, sondern auch ihre bloße Existenz zu verbergen – und letztlich zu leugnen.
In solchen Momenten,
wenn gesetzlosen gefallenen Frauen der Zutritt in die Privathölle der Gläubigen verwehrt wird, kann man die Engel vernehmlich lachen hören – ebenso den Teufel, der vor Lachen brüllt. Dieser Moment wurde zu einem nationalen Spektakel. Etwas, über das man lachen kann.
In Iran ist das Lachen des Teufels lauter als das der Engel – denn die Leute machen sich über alles lustig, und ihr Lachen hält über Wochen an.
Sie haben gelernt, daß man das Unerträgliche nur mit einem bitteren Lachen, mit Satire aushält. Ein harmloser Protest, der die Hölle, in der sie leben, in eine Quelle der Belustigung verwandelt.
Ganz so wie bei Agatha Christie – die Verbrechen in Unterhaltung verwandelt –, nur geschieht es hier auf andere Weise.
(…)
In der Großen Hölle
ist alles elegant, auf Hochglanz poliert, kultiviert und makellos –
aber auch eiskalt und seelenlos.
Wie japanisches Obst:
Sündhaft teuer, hoch besteuert und ohne jeden Geschmack.
Hier braucht es die schallende Ohrfeige der Literatur.
Literatur befreit uns von der Dualität von Teufel und Engel.
Ihr Zweck liegt nicht darin, uns zum Lachen oder Weinen zu bringen,
sondern zu erleuchten –
uns durch die kleinen und großen Höllen
zur authentischen Hölle zu führen;
vom passiven Zuschauen und einer Flut negativer und positiver Emotionen
zum stillen Feuer der Achtsamkeit –
zur Klarheit der Beobachtung.
(…)