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Cover Lettre International 94, Robert Longo
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LI 94, Herbst 2011

Arabiens Wohlgerüche

Von der Verführungskraft zartester Düfte und paradiesischer Substanzen

„Über der gesamte Küste liegt ein Wohlgeruch, welcher den Ankommenden unsagbare und göttliche Sinnenfreuden bereitet.“ Solches berichtet Agatharchides, seines Zeichens griechischer Gelehrter aus Alexandrien, über das „Glückliche Arabien“, Objekt allen Träumens und Begehrens in der Antike.

Als erster jedoch beschreibt Herodot in seinem Forschungsbericht die Wohlgerüche Arabiens und das Geheimnis um ihre Ernte.

Arabien, das Land von Weihrauch und Myrrhe, von Zimt und Ladanum, bewacht von gefiederten Schlangen, Fledermäusen oder gar Riesenvögeln, wie die Geliebte aus Alf Laila wa Laila (Tausendundeiner Nacht) oder auch wie ein göttliches Geheimnis: „Ganz Arabien verströmt einen unvergleichlich lieblichen Duft.

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Die Begeisterung der Römer für Düfte und Essenzen geht zweifellos auf die Ägypter und Griechen zurück, doch sie frönten ihr maß- und zügellos.

Kaiser Nero ließ in seinem Palast Rosenblätter und kostbare Essenzen auf seine Gäste regnen und parfümierte Tauben umherflattern; und befahl er nicht anläßlich von Poppeas Tod, eine ganze Jahresproduktion Weihrauch zu verbrennen?

Aber wenden wir uns Arabien zu, dem „Land des Phönix“, jenes mythischen Vogels, der alle 500 Jahre aus seiner Asche wieder aufersteht und seine Heimat verläßt, um die in Myrrhe und Weihrauch gehüllten sterblichen Überreste seines Vaters nach Ägypten zu bringen und dort im Tempel des Sonnengottes zu bestatten. Arabien, jener Flecken Erde, wo „Tausende Sträucher kostbare Myrrhe weinen und duftenden Balsam“. Ein glühendheißes und trockenes Land, das einen „wunderbar lieblichen Duft“ verströmt und wo alle Wohlgerüche sich mischen. Ein Duft, so stark, daß ihn die Flotte Alexanders des Großen, wie Herodot berichtet, bereits auf offener See atmete, noch bevor sie die Umrisse Arabiens erkannte.

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Parfüm konnte, wie der frühen arabischen Literatur zu entnehmen, bisweilen auch durchaus gefährlich und verhängnisvoll werden. Denken wir nur an die Geschichte jenes Kalifen, der eine seiner Frauen der Untreue verdächtigt und ihr ein Flakon mit einem eigens ihm vorbehaltenen Duft schenkt. Die Unglückliche zögert nicht lange und macht es, wie von ihrem Gemahl vorhergesehen, wiederum ihrem Geliebten zum Geschenk. Dieser hat nichts Eiligeres zu tun, als davon zu nehmen, bevor er bei Hofe erscheint. Und schon schnappt die Falle zu. Der Kalif, dem es dank dieser List gelang, den Geliebten seiner Frau zu entlarven, ließ beide hinrichten.
 
Mohammed, der Prophet des Islam, pries das Parfüm und heiligte seinen Gebrauch mit dem berühmten Hadith (Ausspruch): „Der Dinge, die ich in eurer Welt am liebsten habe, sind drei: die Wohlgerüche, die Frauen und mein Augentrost im Gebet.“ So verknüpfte er drei Dimensionen des Wohlgeruchs – nämlich die profane, die liebende und die göttliche – und bezeugte dessen direkte Verbindung zur Frau. Er parfümierte sich zweifellos sowohl zu religiösen Handlungen als auch zu profanen Zwecken, vorzugsweise mit Moschus und Amber, und verfügte zudem, daß ein geschenkter Duft nicht zurückgewiesen werden dürfe: „Bedenkt man euch mit einem Duft, so weist selbigen nicht zurück, denn gewiß ist er wohlriechend und leicht zu tragen.
 
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Und doch ist der irdische Wohlgeruch ein matter Abglanz des Wohlgeruchs, der den Gläubigen im Paradies versprochen wird, dessen Erde aus reinem Moschus und Safran besteht, wo die Flüsse Moschusgebirgen entspringen und die Jungfrauen, die berühmten Huris, wie uns ein Hadith des Propheten erzählt, aus Safran erschaffen sind. Zudem wissen wir, daß im Altertum verschiedene Völker die Böden und Wände ihrer Tempel parfümierten.

Als man Mohammed eines Tages mit den Worten provozierte: „Wenn die Gläubigen im Paradies essen und trinken, müssen sie dies alles auch ausscheiden; somit ist das Paradies also nicht wirklich vollkommen“, antwortete dieser: „Allah wird dafür sorgen, daß nur Moschus herauskommt.

Und dies erinnert wiederum an den Phönix, der sich der Sage nach von wundersamen Dingen ernährt, von den reinsten Strahlen der Sonne, von ätherischen, von Meereswinden herbeigewehten Dämpfen oder aber von Weihrauchtropfen und dem Saft der Amomumpflanze. Wie die Menschen des Goldenen Zeitalters und all jene, die höhere Nahrung zu sich nehmen, sondert der Phönix keinerlei Exkremente ab, es sei denn einen „Wurm, der zu Zimt wird, an dem sich die Könige und Prinzen laben“.

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Düfte werden somit noch immer als ein wirkungsvolles Verführungsmittel angesehen, und wenn sie sich mit dem weiblichen Körper verbinden, ist ihre Wirkung noch stärker, ja, geht sie sogar so weit, daß nicht mehr auszumachen ist, wer lieblicher duftet, der Körper selbst oder das Parfüm, das ihn einhüllt. Hat nicht die schöne Helena mit ihrem Wohlgeruch reihenweise Männer verführt? Und Judith mit ihrem überwältigenden Duft Holofernes um den Verstand gebracht? In der Ilias empfängt Andromache ihren Sohn, unter Tränen lächelnd, an ihrer parfümierten Brust. Und bedachte nicht die Königin von Saba König Salomo mit einer Fülle von Wohlgerüchen und Gewürzen, wie er ihresgleichen nie wieder bekommen sollte? Und erklärte nicht jener Liebhaber aus Tausendundeiner Nacht, den man gewaltsam von seiner Geliebten getrennt hatte, ihn verlange nach dem Duft ihrer Brüste wie Enoch nach dem des Paradieses? Rühmen die arabischen Dichter nicht den lieblichen Duft des Haars, den Wohlgeschmack des Mundes, die Rosenwangen der Geliebten und vergleichen ihre Brüste mit Granatäpfeln oder süßen, duftenden Pfirsichen? Prophet Mohammed sagte auch, der lieblichste aller Düfte sei der Duft des Wassers, da er den eigentlichen Duft des Körpers erst zur Geltung bringe.

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