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Cover Lettre International 84, Florian Süssmayr
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LI 84, Frühjahr 2009

Musikbankiers

„Jüdisches Glückskind“ - Was Wagner an Mendelssohn aufregte

Auch wenn man es kaum glauben mag: Richard Wagner sah sich gegenüber Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen Geburtstag sich am 3. Februar zum 200. Mal gejährt hat, in der Rolle des Underdogs. Und dies mag dazu beigetragen haben, daß er sich nach dem frühen Tod Mendelssohns im Jahr 1847 bitter rächte und seitdem wütend auf das jüdische Glückskind einprügelte.

„Jüdisches Glückskind“: Das soll man, von Wagner her gesehen, wörtlich verstehen – man vergleiche nur die Knabenkarrieren. Wagners Kindheit ist, seinem eigenen Lebensbericht zufolge, zwar alles andere als langweilig gewesen. Doch die vielen „theatralischen“ Anregungen, die es seitens des Stiefvaters und der älteren Geschwister gibt, haben neben seriösen Momenten solche von Schminke und Flitter. Eine von Wagners frühesten Erinnerungen geht dahin, „bei einem lebenden Bilde als Engel ganz in Trikots eingenäht, mit Flügeln auf dem Rücken, in schwieriger eingelernter graziöser Stellung figuriert zu haben“. Und im gleichen Kontext heißt es in Mein Leben: „Während ich mit Altersge-nossen Aufführungen des Freischütz nachzuahmen suchte und mit großem Eifer hierbei mich der Herstellung der Kos-tüme und Gesichtsmasken durch groteske Malerei hingab, übten die zarteren Garderobengegenstände meiner Schwes-tern, mit deren Herrichtung ich die Familie häufig beschäftigt sah, einen fein erregenden Reiz auf meine Fantasie aus; das Berühren derselben konnte mich bis zu bangem, heftigem Herzschlag aufregen.“

Der junge Wagner ist zwar aufgeweckt, an Sophokles, Shakespeare und neuerer Geschichte interessiert, jedoch kein besonders guter Schüler. In der 1835 begonnenen Lebensskizze aus der „großen roten Brieftasche“ heißt es über die Jahre 1828 bis 1831: „Vernachlässigung der Schule. – Sommer 1829 allein in Leipzig. Lasse Alles liegen, treibe nur Musik ohne Unterricht. – Schulzwang. – Werde lüderlich. – Abgang von der Nikolaischule. Privatisiere. – Thomasschule. – Universität. Lüderlich. – Faro-spielen. Schlimme, lüderliche Zeit im Sommer.“ Zu guter Letzt verläßt Wagner die Schule mit dem Vermerk „Studiosus Musicae“ – eine Hochschulqualifikation zweiter Güte.

Geregelten Kompositionsunterricht hat er zu diesem Zeitpunkt noch kaum gehabt, jedoch schon autodidaktisch komponiert – unter anderem eine verschollene „Politische“ Ouvertüre, die auf die Pariser Julirevolution von 1830 Bezug nimmt, und Lieder auf Texte aus Goethes Faust. Auch fertigt er in mühsamer Arbeit einen Klavierauszug von Beethovens Neunter Sinfonie an, findet jedoch keinen Verleger. Das mag ihn besonders deshalb geschmerzt haben, da er sich in fast schon mystisch zu nennender Weise als Nachfolger Beethovens betrachtete – natürlich ohne daß seine Umgebung auf solche „verstiegenen“ Vorstellungen eingegangen wäre.

Ganz anders Mendelssohn: In dessen begütertem Elternhaus fehlt es an nichts – freilich auch nicht an strikter Arbeitsdisziplin, der schon der Knabe unterworfen wird. Jugendfreund Eduard Devrient erinnert sich: „Wenig anmuthende Arbeiten mußte er wohl in der Mutter Zimmer zu ihren Füßen an Rebecca’s Kindertischchen machen. Wenn er mit seinem Butterbrode – das ihm das Recht gab, von der Arbeit zu gehen – ins Vorderzimmer kam und länger mit mir plauderte, als das Butterbrod reichte, so scheuchte ihn gewiß sehr bald der Mutter kurzab hingeworfene Aeußerung: ,Felix, thust Du Nichts?‘ wieder ins Hinterzimmer.“

Bald gibt es Hauslehrer, deren einer, Johann Gustav Droysen, ein berühmter Historiker werden und ein anderer, Wilhelm Ludwig Heyse, einen Literaturnobelpreisträger unter seinen Kindern haben wird. Anstelle eines Maturitätsexamens reicht Mendelssohn unter anderem die Übersetzung einer Komödie von Terenz, Das Mädchen von Andros, ein; sie ist zu diesem Zeitpunkt schon im Druck erschienen und eiligst Goethe überschickt worden, der einige Jahre zuvor über Felix, das Wunderkind, gesagt hatte: „Du bist mein David, sollte ich krank und traurig werden, so banne die bösen Träume durch dein Spiel, ich werde auch nie wie Saul den Speer nach dir werfen.“

Von seinem ersten Besuch beim Weimarer Dichterfürsten berichtet der zwölfjährige Mendelssohn seiner Familie: „Jeden Morgen erhalte ich vom Autor des Faust und des Werther einen Kuß, und jeden Nachmittag, vom Vater und Freund Göthe zwei Küsse. Bedenkt!! Nachmittag spielte ich Göthen über 2 Stunden vor, theils Fugen von Bach, theils fantasirte ich. (…) Wenn ich fertig bin, so bitte ich mir einen Kuß aus, oder nehme mir einen: Von seiner Güte und Freundlichkeit macht Ihr Euch gar keinen Begriff, ebensowenig als von dem Reichthum, den der Polarstern der Poeten an Mineralien, Büsten, Kupferstichen, kleinen Statuen, großen Handzeichnungen u.s.w. u.s.w. hat.“

Damals hat Felix Mendelssohn Bartholdy aufgrund seines Kompositionsunterrichts bei Carl Friedrich Zelter schon ein komplettes Singspiel, die Soldatenliebschaft, komponiert; und zu seinem zwölften Geburtstag schenken ihm die Eltern eine Aufführung mit vollem Orchester. Dazu kommen Mitglieder der königlichen Kapelle ins Haus, die auch später immer wieder bei den privaten Erstaufführungen des jungen Genies mitwirken werden. Dieses braucht sich um die Veröffentlichung seiner Jugendwerke keine Gedanken zu machen: Es gibt genügend Verleger, die an der genialischen Ouvertüre zu Shakespeares Sommernachtstraum Interesse haben, welche nach der 1826 erfolgten Uraufführung in aller Munde ist. Weiteres Tagesgespräch der einschlägigen Kreise wird drei Jahre später Mendelssohns „Wiederentdeckung“ der Matthäuspassion: Bei der epochalen Neuaufführung in der Berliner Singakademie ist das gebildete Berlin fast vollständig zugegen. Man sieht dort unter anderem den Philosophen Hegel, bei dem Mendelssohn anschließend fleißig Kollegs hören wird, den Theologen Schleiermacher, die Historiker Droysen, von Raumer und Loebell, Heinrich Heine und seine Briefpartnerin Rahel Varnhagen von Ense.

Doch nicht nur dem Erbe Bachs fühlt sich der Zwanzigjährige verpflichtet; er sieht sich auch voller Respekt auf den Spuren des gerade erst verstorbenen Beethoven: Mendelssohns Streichquartett Opus 13 schreibt auf bestürzend authentische Weise Beethovens spätes Quartett Opus 132 fort, während Wagner in diesem Alter Beethovens heroischen Stil eher täppisch nachahmt. Sollte es damals schon einen latenten Neid des Rohdiamanten auf den bereits perfekt geschlif-fenen Edelstein gegeben haben? Zumindest ist unübersehbar, daß in den Jahren ab 1829 ein Spiel einsetzt, das zumindest aus der subjektiven Sicht Wagners an den Wettlauf vom Hasen und dem Igel erinnern muß – wobei Mendelssohn den Igel gibt, der dem Hasen beständig zurufen kann: „Ick bün all hier!“

1829, nach einigen Semestern Universität, hat Mendelssohn das Glück, eine fast dreijährige Kavalierstour antreten zu können – jedenfalls darf man von einer großbürgerlichen Variante der Grand Tour sprechen, wie sie in früheren Zeiten den männlichen Sprößlingen regierender Adelshäuser vorbehalten gewesen war. Der Weg führt unter anderem nach England, Italien und Frankreich; und überall hat der junge Künstler Gelegenheit, sich zu bilden und mit bekannten Persönlichkeiten zusammenzutreffen. Eine der letzten Stationen ist Paris, wo er kurz vor der Volkserhebung vom Juni 1832 weilt, sich von den parlamentarischen Debatten aber nur angeödet fühlt und überhaupt von Politik nichts wissen will. Da passen ihm auch die intellektuell hochgestochenen Landsleute, die Paris zur Wahlheimat erkoren haben, nicht ins Konzept. Vielmehr ist ihm der gemäßigte Ludwig Börne „mit seinen abgequälten Einfällen, seiner Wut auf Deutschland und seinen französischen Freiheitsphrasen ebenso zuwider wie Dr. Heine mit allen ditos“.

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