LI 74, Herbst 2006
Kunst, Markt, Mode
Prinzip Celebrity - Porträt des Künstlers in der visuellen IndustrieElementardaten
Textauszug
Der Kunstmarkt und sein vielbeschworener, seit Jahren anhaltender "Boom"  sind zu einem Thema avanciert, für das sich nicht nur Lifestyle- und  Modepresse, sondern auch das Feuilleton verstärkt interessieren. Neuere  Kunstmessen wie Frieze (London) oder die Art Miami Basel  (Miami) werden von Moderedakteuren zu hippen Reisezielen erklärt, weil  sie jede Menge glamouröse Partys garantieren, wo man sich zwanglos unter  den internationalen Jet-set mischen kann. Die britische Vogue  brachte eine Photostrecke von David Bailey und Jessica Craig-Martin, die  die Celebrity-tauglichen Besucher der Frieze –  Claudia Schiffer und Lady Helen Taylor – ins Licht setzte. Und  die amerikanische Zeitschrift artforum – im Ruf einer seriösen  Kunstzeitschrift stehend – versorgte ihre Leser während der Art  Miami Basel täglich mit Party- und Klatschberichten in ihrem  Weblog auf artforum.com. 
Man kann bedauern, daß die  Kunst in diesen Zusammenhängen nicht einmal auf der Ebene der  Beschreibung zu ihrem Recht kommt. Wenn überhaupt, tritt sie in Form von  Künstlernamen auf, die beiläufig fallen gelassen werden wie  Markennamen. Das Interesse gilt weniger den künstlerischen Arbeiten und  dem, was in ihnen auf dem Spiel steht, als der Frage, welche bedeutenden  Persönlichkeiten auf welcher Eröffnung gesichtet wurden. Die Modewelt  interessiert sich vornehmlich für jenes Kunstwelt-Personal, das sich ihr  gegenüber aufgeschlossen zeigt – Galeristen wie Jay Jopling,  Thaddeus Ropac, Künstler wie Tracey Emin oder Sam Taylor-Wood.
So  wie die Mode sich nach Nobilitierung durch das kulturelle und  symbolische Kapital der Kunst sehnt, können auch Mitglieder des  Kunstbetriebs schon mal in Ekstase geraten, wenn prominente Models,  Schauspieler, Popstars oder Modedesigner wie Marc Jacobs auf Eröffnungen  gesichtet werden.
Derartige Party- und Eröffnungsberichte der  Lifestyle-Presse geben Auskunft über Rolle und Funktion der Kunst in der  "spektakulären Phase" des Kapitalismus. In dieser "spektakulären  Phase" zeigt sich Giorgio Agamben zufolge der Kapitalismus in  seiner "äußersten Form", wo alles Handeln, Leben und  Produzieren von sich selbst abgesondert und in die Sphäre des Konsums  verschoben wird. Agambens Rede von der "spektakulären Phase"  des Kapitalismus weist auf eine grundlegende Veränderung hin: Sämtliche  Aspekte des Lebens – somit auch künstlerische Produktion –  sind heute dem bioökonomischen Imperativ der Wertsteigerung  unterworfen. Symptomatisch zeigt sich dies in der Lifestyle-Presse;  deshalb ziehe ich deren Berichte den kulturpessimistischen Lamentos des  Feuilletons vor, wo anläßlich der Art Miami Basel 2005 in  apokalyptisch-seherischer Manier ein bevorstehender "inhaltlicher  Crash" prophezeit wurde. Zusammenbrechen werde der Markt in Kürze,  weil er wie zu Beginn der neunziger Jahre überhitzt sei; außerdem gebe  es eine "inhaltliche Krise". Einmal abgesehen von der  Fragwürdigkeit eines Analogieschlusses zur Rezession der neunziger  Jahre, deren Bedingungen ganz andere waren, hat der Ruf nach mehr  "Inhalten" stets eine ungewollt konservative Schlagseite, da er für sich  die Autorität reklamiert, Inhaltliches von Inhaltslosem unterscheiden  zu können: Wer Inhalte fordert, sollte die Kriterien offenbaren, die  seinem Begriff von "Inhalt" zugrunde liegen.
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Kunstwerke  zirkulieren als Waren auf dem Kunstmarkt - daran ist nichts Besonderes.  Schließlich hat schon Marx die Ware als Ding definiert, das durch seine  Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art  befriedige, und diese erweiterte Auffassung des Bedürfnisses (das auch  imaginäre und identifikatorische Sehnsüchte sowie ästhetischen Genuß  umfaßt) macht es möglich, auch künstlerische Arbeiten als Waren  aufzufassen. Daß mit ihnen spekuliert wird, daß sie den Status von  Anlageobjekten besitzen, dürfte kaum überraschen. Neu jedoch ist die  Autorität, die den Setzungen des Marktes heute zugebilligt wird. Eine  Verschiebung, die man sich anhand von Pierre Bourdieus Untersuchung zur  Genese des künstlerischen Feldes im 19. Jahrhundert sehr gut  vergegenwärtigen kann. Während Bourdieu für das Milieu literarischer  Produktion zwischen Flaubert und Zola noch von einer "verkehrten  Welt" ausging, in der monetärer Erfolg als prinzipiell verdächtig  erschien, bedeutet ein Erfolg auf dem Markt heute keine Gefährdung  künstlerischer Glaubwürdigkeit mehr - im Gegenteil. Markterfolg und  künstlerische Glaubwürdigkeit bedingen einander.
Aber von welchem  "Markt" ist hier die Rede? Auch im Kunstbereich muß zwischen  unterschiedlichen Märkten differenziert werden. Einerseits hat sich ein  Markt der Biennalen, Manifestas, Kunstvereine und Documenta-Ausstellungen  herausgebildet, ein Markt, in dem Wissen und Informationen  großgeschrieben werden und wo "Kritik" (respektive ein entleerter  Begriff von Kritik) als begehrenswerte Ware zirkuliert. Andererseits  gibt es den kommerziellen Kunstmarkt, in dem andere  Valorisierungskriterien gelten; dieser hat in dem Maße an Volumen und  Selbstbewußtsein zugenommen, wie er sich weniger denn je mit  Legitimationsproblemen herumschlagen muß. Tobias Meyer, Chef der  Abteilung Zeitgenössische Kunst bei Sotheby's, erklärte kürzlich, ohne  auf großen Widerspruch zu stoßen, die teuersten Werke seien tatsächlich  auch die besten. Aus dieser Sicht hat der Markt stets das letzte Wort  und immer recht - als gäbe es keine außerökonomischen Kriterien mehr für  Kunst. Mit seinem Befund, für Künstler/innen sei der Marktruhm  entscheidender als Anerkennung durch Museen, hat Meyer jedoch eine  zutreffende Diagnose abgegeben. Ob Marktruhm allein eine dauerhafte  Kanonisierung zu garantieren vermag, wird sich erst langfristig  herausstellen. An diesem Punkt werden institutionelle und  kunsthistorische Anerkennung eine Rolle spielen, und es bleibt  abzuwarten, ob diese Instanzen die Valorisierung des Marktes  ratifizieren. Marktkritik findet meist in Form von kulturkritischen  Lamentos oder pauschalen Verdächtigungen statt, oft begleitet von einer  konservativen Sehnsucht nach mehr "Qualität." Die Kategorien einer  idealistischen Ästhetik – "Schönheit", "sinnliche Erfahrung" –  konservieren sich in diesem Marktsegment in Form von subjektiven  Empfindungen, die die für die Wertbildung zentralen Händler, Sammler,  Berater und Auktionäre für sich in Anspruch nehmen und Autorität mit  ihnen reklamieren. Natürlich überschneiden sich beide Marktsegmente  gelegentlich - personell wie inhaltlich. Als jüngstes Beispiel dafür  wäre die Berlin-Biennale 2006 zu nennen: Während der  Eröffnungstage mischte sich ein jüngeres internationales Biennale-Publikum  mit bekannten US-amerikanischen Dealer/innen (Jeffrey Deitch, Barbara  Gladstone und anderen) oder Kunstagent/innen (Yvonne Force). Der Grund  dafür mag in der Person eines der Kuratoren liegen - der Künstler  Maurizio Cattelan versteht es geschickt, sein in der Welt der Biennalen  angehäuftes symbolisches Kapital in ökonomisches zu transformieren. Es  gibt aber auch Fälle von Künstler/innen, die in einem Bereich  erfolgreich operieren, aus dem anderen jedoch vollständig herausfallen.  Zwei Paralleluniversen, die getrennt nebeneinander her zu existieren  vermögen und doch punktuell Schnittmengen bilden.
Wenn im  folgenden vom Kunstmarkt die Rede ist, ist stets die zwischen  Primärmarkt (Künstler, Sammler, Kritiker, Galeristen, Kuratoren) und  Sekundärmarkt (Händler, Berater, Auktionshäuser) angesiedelte kommerzielle  Sphäre gemeint. Geographisch zu verorten ist dieser tonangebende  Markt im anglo-amerikanischen Raum, hauptsächlich zwischen New York und  London. In diesen Städten finden die spektakulärsten Deals und  exorbitantesten Preissteigerungen auf Auktionen statt; hier verfügen die  Akteur/innen über große Vermögen, hier zirkulieren Finanzvolumina, von  denen andere Regionen – die zu diesem Markt gar keinen Zugang  erhalten – nur träumen können. Es liegt in der Natur dieses  Marktes, daß er sich beständig ausweitet; Rußland und China werden  derzeit als Nachschublieferanten gehandelt, die den Markt mit neuer Ware  beliefern und zugleich eine Heerschar extrem wohlhabender, an  Luxusgütern interessierter potentieller Abnehmer zu bieten haben, so daß  die Nachfrage auf Dauer gewährleistet zu sein scheint. Das komplexe  Gefüge dieses Marktes möchte ich mit dem Philosophen Axel Honneth als  soziales Medium verstehen, welches es seinen Akteur/innen erlaubt, ihre  Leistungen und Güter mit den jeweils anderen auszutauschen, um dabei  enorme Gewinne zu erzielen. Damit dieser Markt funktionieren kann,  müssen seine Akteur/innen jedoch in einen gemeinsamen Wertehorizont  eingelassen sein und bestimmte normative Überzeugungen teilen. Der  kollektive Glaube an die Kunst und ihre Bedeutung ist Voraussetzung  dafür, daß sie in diesem Markt als "wertvoll" erachtet werden kann. In  dem Maße, wie ganz profan mit ihr gehandelt wird, wird sie idealistisch  verklärt und für letztlich unbezahlbar erklärt.
(...)
 
   
   
   
  