LI 151, Winter 2025
Terroristische Illusionen
"My fight name is Angie" – Selbstporträt eines AussteigersElementardaten
Genre: Selbstporträt, Biographie, Autobiographie
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Textauszug
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Die Revolutionären Zellen
Die Stammkader der RZ – das ist alles Frankfurt: Böse, Kuhlmann, Weinrich, Kopp, Suter und Gauger, vielleicht auch Winkler und Schindler, den Rest kenne ich nicht. Winkler und Schindler waren immer zusammen. Die ließen sich immer nur am Rande der linken Bewegung blicken, Demos und so was, das war nicht so ihr Ding. Die waren immer sehr diskret. Bevor ich dort einstieg, haben die mich ausgecheckt, ohne daß ich das gemerkt habe. Irgendwann hab’ ich dem Böse mal gesagt, „da gibts zwei Typen, den Winkler und den Schindler, die fragen mich aus, als wären sie Bullen“, worauf der Böse nur schmunzelte. Das waren die beiden RZler, die wahrscheinlich im Auftrag von Böse gecheckt haben, ob ich wirklich sicher bin. Später war ich verblüfft, als Böse mir sagte, daß die beiden von der RZ sind. Das war 1974.
Die RZ ist ja schon vorher gegründet worden, als die ersten RAF-Leute in den Knast gegangen sind. Vor allem die Ulrike hatte damals noch viele Sympathisanten. Wenn die in Frankfurt aufgetaucht wäre, hätte sie bei vielen Leuten Unterschlupf bekommen. Im Gegensatz zu Baader, der nicht sehr gemocht wurde – große Klappe und nichts dahinter. Zu Baader hatte ich nie persönlichen Kontakt, aber ich bin mir sicher, daß er mir oft über den Weg gelaufen ist. Ich war ja bei fast allen SDS-Sitzungen im Kolbheim mit dabei, auch wenn ich nur Bahnhof verstanden habe. Baader und Ensslin kamen öfters mal mit ihren Staffelbergern vorbei, um Putz zu machen. Meistens endeten in dieser Zeit solche SDS-Sitzungen ohnehin in Keilereien.
Böse hatte auch seine Hände im Spiel beim Verlag Roter Stern. Böse mit Kuhlmann und Weinrich mit Kopp wohnten da ja auch zusammen im Verlag. Böse war immer diskret. Die ganze Sache mit den Revolutionären Zellen, das war alles sehr diskret. Daß Böse da seine Hände mit drin hatte, war zu dieser Zeit nicht erkennbar. KD ist öfters mit dem Auto nach Paris gefahren, um sich mit Palästinensern wie Michel Moukharbal 29 und anderen zu treffen. Ich bin einmal mitgefahren und habe dabei das erste Mal Carlos gesehen.
Moukharbal war damals der Chef vom Carlos. Das muß Anfang 1974 gewesen sein, weil wir Mitte 74 ja in London waren und versucht haben, den Botschafter der Vereinten Arabischen Emirate zu entführen, um 30 oder 40 Millionen Dollar zu erpressen. Wir waren einen ganzen Monat lang dort und haben die Botschaft observiert; wir hatten auch Informationen von der Botschaft. Das Problem war, daß wir den Mann nur ein einziges Mal gesehen haben. Dann hat sich Moukharbal entschieden, das abzubrechen. Das, was später als Carlos-Gruppe bezeichnet wurde, das existierte erst in den achtziger Jahren, da war ich schon lange weg. Mitte der Siebziger war Carlos Mitglied in der Truppe von Wadi Haddad. Und der Chef, das war zu dieser Zeit nicht Carlos, sondern Michel Moukharbal, den Carlos dann in Paris erschossen hat.
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OPEC-überfall in Wien
Ich bin ja für die OPEC-Aktion vor allem wegen meiner Waffenausbildung ausgewählt worden, die ich von der Bundeswehr hatte. Außerdem war ich ein Waffennarr, das war in der Szene bekannt. Und dann mußte Böse natürlich mal wieder jemanden neu einbringen. Immerhin hatte der Wadi Haddad ja dafür gesorgt, daß die durch die Lorenz-Entführung freigepreßten Leute vom 2. Juni im Jemen aufgenommen wurden. Der Mann wollte seinen Einsatz natürlich zurückhaben. Die ganze Sache ging von Gaddafi aus, aber das stellte sich erst später heraus. Organisiert wurde sie von Wadi Haddad, der das Kommando zusammengestellt hat: Halil, Josef, Jussef, Carlos, Nada – die schon im Jemen war – und ich. Eigentlich hätte ich ja – aber dafür war die Zeit zu knapp – vorher noch in den Jemen fliegen sollen, um mich weiter ausbilden zu lassen. Der Böse hat gesagt, der war ja bei der Bundeswehr und läuft von morgens bis abends nur mit Knarren durch die Gegend, das braucht der alles nicht. Ich bin von Frankfurt aus auch öfter mal übers Wochenende zum Üben in die Wälder gefahren. Ich hatte ja inzwischen von der RZ schon meine eigene Waffe, einen Revolver. Das ist der, den ich später an den Spiegel geschickt habe. Außerdem sind mir ab und zu mal Beutewaffen von der Polizei in die Finger gekommen. Ich hab’ also im Wald Schießübungen gemacht. Da schießt du zehn Minuten lang und dann machst du dich schleunigst aus dem Staub. Und zehn Kilometer weiter machst du noch mal eine Schießübung. So war das.
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Ausbildung in Aden
In Aden sind wir Ende Februar 1976 eingetroffen, am Flughafen wurden wir abgeholt von Leuten der PFLP. Wir sind ohne irgendwelche Einreiseformulare eingereist, ohne Stempel, an allen Kontrollen vorbei. Das Haus von Wadi Haddad lag im Diplomatenviertel, in der Nähe vom Hauptquartier der PLO,57 nur 200 Meter weit entfernt. Die PLO hat ja immer behauptet, daß sie mit der PFLP, vor allem mit den Auslandsoperationen der PFLP, nichts zu tun hätte. Doch Wadi Haddad hielt sich fast jeden Tag bei der PLO auf, weil die ein Funkgerät hatten und er nicht. Im September 76 hat sich Carlos, ich war dabei, mit Bassam Abu-Sharif 58 getroffen, dem damaligen Pressesprecher von Arafat. Mit dem hab’ ich sogar meine Knarre getauscht. Dessen Hände und Gesicht waren von einer Briefbombe verstümmelt, die ihm die Israelis geschickt hatten.59 Wadi Haddads Gebäude war ein traditionelles Haus mit Flachdach, Erdgeschoß und erster Etage. Als ich ankam, wer war da alles da? Ich glaube, Böse war da, die Kuhlmann und im Lager so an die zehn RZ-Leute, Schindler, Winkler, Suter und andere. Zum Teil kannte ich die auch nicht.
Wadi Haddad hat, wenn du mit dem gesprochen hast, immer alles mitgeschrieben, entweder er oder seine Nichte. Ich hab’ dem Böse gesagt, wenn hier der Mossad mal vorbeikommt, werden sie ein Pharaonengrab finden. Es gab beispielsweise eine Mitschrift Haddads von der Manöverkritik an der OPEC-Aktion, an der neben mir Haddad, Carlos und Böse beteiligt waren. In seinem Büro waren die Wände von oben bis unten voll mit Ordnern, in denen seine Mitschriften steckten. Wir mußten nachts sein Haus in Aden mit Kalaschnikows bewachen, das lag in der Nähe der chinesischen Botschaft. Das Haus bestand aus einem Erdgeschoß und einer Etage. Die RZ war in der ersten Etage auf der einen Seite vom Flur, die RAF auf der anderen, wir durften allerdings nicht miteinander kommunizieren. Ich hab’ schnell kapiert, daß wir ungeheuer manipuliert wurden. Ich bin Ende Februar 1976 da eingetroffen, damals waren so an die zehn Leute von der RZ da. Die wurden ausgebildet an Waffen, Sprengstoff, Panzerfäusten, Raketen usw.
In jener Gruppe, die von Zaki und einem anderen Palästinenser ausgebildet wurde, gab es auch zwei Mitglieder der ETA.60 Der eine hatte den Decknamen „Hans“. Ich habe mitgemacht, soweit das mit meiner Schußverletzung ging. Ich hatte damit immer noch Probleme. Die Ausbildung fand in der Wüste statt und dauerte eine Woche. Das Lager war etwa vierzig Kilometer entfernt, inmitten der Wüste, in einem steinigen Gebirge. Da wurde aus allem, was es gab, geschossen. Mit Pistolen, Revolvern, Kalaschnikows und Maschinengewehren, auch mit schweren russischen Maschinengewehren, eine hatte noch ein Trommelmagazin und wurde „Balalaika“ genannt. Auch Panzerfäuste wurden abgeschossen. Sogar Luftabwehrraketen, übrigens englischer Herkunft, gab es, riesige Dinger, zwei, drei Meter lang. Mit Sprengstoff mußten Mutproben absolviert werden. Mit zehn Gramm Sprengstoff mußte man sich hinlegen, einen Zünder reinstecken und das anschließend explodieren lassen. Ich mußte das wegen meiner Schußverletzung allerdings nicht mitmachen. Die Palästinenser haben mir dann mehrmals die Frage gestellt, ob ich aus einer Irrenanstalt entwichen bin, weil ich mittags so zwischen fünfzig und 55 Grad in der Wüste rumgerast bin und mir die Neunte von Beethoven auf einem Kassettenrekorder angehört habe.
Das Haus in der Wüste war die ehemalige Residenz des britischen Militärgouverneurs. Es lag hoch oben auf einem Berg. Der Eingang zum Camp wurde von zwei jemenitischen Geheimdienstleuten bewacht, die mir beigebracht haben, arabisches Fladenbrot zu backen. Die Ausbildung war wie Schulunterricht. Erst mal war das eine praktische Ausbildung auf dem Schießplatz. Dann gab es auch pures Boyscout-Getue. Jemanden für die Stadtguerilla an der Kalaschnikow ausbilden zu wollen, ist ja absoluter Quatsch. Zur Freude aller durften wir nachts mit Leuchtspurmunition schießen. Das fanden alle ganz dufte. Natürlich war es absurd, als Stadtguerilla Leuchtspuren in den Nachthimmel zu ziehen. Die konnten verschießen, was sie wollten, die hatten ja ein riesiges Munitionslager, ein riesengroßes Arsenal, es gab überhaupt kein Limit. Dann gab’s im Lager auch Unterricht, wie man Bomben baut, Bombenfallen, bis hin zu der berühmten Bombenfalle auf dem Scheißhaus. Und das mußte alles mitgeschrieben werden. Die RZ-Leute haben die Aufzeichnungen zum Teil anschließend mit nach Europa genommen. Ich hab’ dem Böse gesagt, die sind völlig verrückt. Wenn die kontrolliert werden und jemand findet diese Aufzeichnungen, dann haben die ein Problem. Nach der Ausbildung sind alle Leute wieder zurückgeflogen. Der Wadi Haddad hatte in seinem Haus, das im Diplomatenviertel von Aden lag, ja eine riesige Fälscherwerkstatt. Der hatte im Untergeschoß einen großen Tisch voller Stempel – der besaß alle Stempel der Welt. Und dann gab es zwei Bücher mit allen Flugverbindungen dieser Welt. Das war für die RZ-Leute Standard, die hatten die immer in ihrem Reisegepäck mit dabei. Der Wadi Haddad hat dann die Flüge zusammengestellt, die niemals über Aden gingen. Meistens führten die über Indien, nach Bombay und so weiter. Klack-klack-klack, und Wadi Haddad hatte eine Reiseroute zusammengestellt. Als ich aus Aden rausgeflogen bin, wer saß mit in der Maschine: der deutsche Botschafter mit Familie. Ich bin über Kuwait. Dort mußte ich wegen eines Sandsturms Zwischenstation machen.
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