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Cover Lettre International, Antoine d'Agata
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LI 122, Herbst 2018

Der Überfall

Eine ausgesucht kostspielige Art, den "Islamischen Staat" zu bekämpfen

Amerikas Tarnkappenbomber B-2 ist das ausgefallenste strategische Kampfflugzeug der Welt: ein Unterschall-Flügelgespann, das möglichst von keiner Luftabwehr zu finden sein soll und dennoch fast dieselbe Bombenlast trägt wie der wuchtige B-52. Eingeführt wurde der B-2 Ende der 1980er Jahre hauptsächlich für den Fall eines Atomkriegs gegen die Sowjetunion. Er war klar für den Erstschlag konzipiert, nicht als Vergeltungswaffe. Erstschlag-Waffen sollen den Gegner schwächen, nicht abschrecken. Am Ende war es wohl ein Segen, daß sich der Tarnkappenbomber als nicht ganz so perfekt getarnt und vor allem als extrem teuer erwies. Zum Stückpreis von 2,1 Milliarden Dollar wurden nur 21 davon gebaut, bevor der Kongreß das Geld für weitere Anschaffungen verweigerte.

 


DAS ZIEL

Von diesen 21 Maschinen sind derzeit 19 in Missouri nahe des geographischen Zentrums der Vereinigten Staaten inmitten menschenleerer Felder auf dem Luftwaffenstützpunkt Whiteman stationiert. Sie gehören zum 509th Bomb Wing und unterstanden bis vor kurzem einem Brigadegeneral namens Paul W. Tibbets IV, dessen Großvater die Atombombe auf Hiroshima abgeworfen hat. Immer noch gelten die B-2-Bomber in erster Linie als Trägersystem für nukleare Sprengkörper, was bedeutet, daß ihre Besatzungen sich qua Auslese aus der Art von Männern und Frauen zusammensetzen, die dazu fähig sind, Erfolg als einen präzise geflogenen Einsatz zur Auslösung von Massenvernichtung zu definieren. Nichts läßt am Entschluß dieser Piloten zweifeln, auf Befehl einen Atomschlag auszuführen. Bislang waren sie allerdings nur in wenigen kleineren Missionen unterwegs – Säbelrasseln über der Koreanischen Halbinsel, erste Bombensalven auf Serbien, Afghanistan oder den Irak – und auch das mehr zum Zeitvertreib, wenn es galt, taktische Vorteile zu sichern, ohne sich dadurch Scherereien einzuhandeln.
   Das ungefähr war der Stand der Dinge früh am Morgen des 17. Januar 2017 auf dem Stützpunkt Whiteman, in den letzten Tagen der Regierung Obama. Seit sechs Jahren hatte kein B-2er mehr einen Kampfeinsatz geflogen. Doch nun wurden gleichzeitig mehrere in der Abgeschiedenheit ihrer maßgefertigten, klimatisierten Einzelhangare seit Stunden mit je 80 GPS-gesteuerten Bomben beladen, bestimmt für kürzlich aufgespürte Feinde auf dem Territorium eines weit entfernten Landes. Alle Vorbereitungen gingen unter größter Verschwiegenheit vonstatten. Unter den Einheiten auf dem Stützpunkt und selbst unter denjenigen, die diese Bomben zusammenbauten und einluden, war nur relativ wenigen klar, daß diesmal kein bloßer Übungseinsatz anstand.
Im B-2 ist die Pilotenkanzel der einzige Ort, an dem sich ein Mensch aufhalten kann, und die Besatzung besteht aus nur zwei Mann. Obwohl beide so ausgebildet sind, daß sie unterwegs alle Aufgaben des jeweils anderen übernehmen können, sitzt rechts der Kommandeur der Mission, der die Waffen und die militärische Kommunikation handhabt, und links der eigentliche Pilot mit der zweitrangigen Aufgabe, die Maschine zu fliegen und Kontakt zur zivilen Flugsicherung zu halten. An diesem Januarmorgen bestanden sämtliche Besatzungen aus Offizieren mittlerer Dienstgrade. Alle hatten die B-2-Spezialausbildung an der United States Air Force Weapons School in Nevada hinter sich. Seit Tagen schon wuselten Bodentrupps um die Flugzeuge herum, doch gemäß einer ehrwürdigen Tradition der Luftfahrt liegt deren technisch einwandfreier Zustand am Ende in der Verantwortung der Piloten. Die Besatzungen verstauten zunächst ihre Ausrüstung im Cockpit, das man über eine kleine Leiter und eine Luke an der Unterseite erreicht, durch die man sich hinaufziehen muß. Danach gingen sie zur traditionellen Abnahme einmal um die Maschinen herum. Schließlich erfolgten ausführliche Systemüberprüfungen und Einträge in den Flugplan. Das alles dauerte etwa eineinhalb Stunden. Kein einziger Fehler wurde entdeckt. Die Piloten verschlossen die Luken, gurteten sich in ihren Sitzen fest und starteten noch in den Hangaren die Triebwerke. Jeder B-2 hat vier Düsenmotoren – keine klobigen Zylinder, sondern beinahe wie Kiemen in einen Hai saumlos in die Flügel eingelassene Mantelstromtriebwerke, die nur geringfügige Radar-, Infrarot- oder Schallsignaturen erzeugen. Die Motoren starten automatisch. Mehr als einen Knopfdruck und technische Überwachung braucht es nicht, und nur selten geht dabei etwas schief.
   Kaum waren die Triebwerke angelaufen, rollten alle B-2 gleichzeitig aus ihren Hangars und fädelten sich ein in Reih und Glied. Draußen war es kalt und feucht – Bedingungen, unter denen die Triebwerkszündungen zum Einfrieren neigen, so lange die Maschinen am Boden warten und noch nicht auf vollen Touren laufen. Das ist nur eine von mehreren Wetteranfälligkeiten des B-2er, die sich aus seiner kompromißlosen Bauweise ergeben. Um dieses Einfrieren zu verhindern, beeilten sich die Piloten, so schnell wie möglich abzuheben. In Abständen von unter 200 Metern bewegten sie sich zum Anfang des Rollfelds – eine Parade der Flügel ohne Rümpfe, Heckflossen oder Seitenleitwerke, die man ohne ihre mächtigen Fahrwerke und ohne das Jaulen ihrer verborgenen Motoren kaum als Flugzeuge erkannt hätte. Die ersten drei hoben in Abständen von jeweils 30 Sekunden ab und verschwanden in der Nacht. Alle übrigen B-2 hatte man nur für den Fall bereitgestellt, daß bei einem der ersten drei Schwierigkeiten auftauchten. Sie wurden nun zurück in die Hangare beordert und abgeschaltet. Als ich mich später über diesen Grad an Redundanz wunderte, erklärte mir einer der Piloten, man habe absolut sicher gehen wollen, daß die Bomben genau zur vorherbestimmten Zeit, in den ersten Sekunden des 19. Januar 2017 fielen. Die Wahl des Zeitpunkts schien mir so willkürlich, daß ich nach den Gründen dafür fragte. Meine Frage war dilettantisch, und dem Piloten gefiel sie nicht. „Ich wurde in diese Überlegungen nicht einbezogen“, antwortete er, „ich fliege einfach los, wenn man es mir sagt.“
   Die B-2 waren unterwegs nach Libyen. Das teuerste und leistungsfähigste Gerät im Arsenal der amerikanischen Luftwaffe wurde soeben gegen einen Haufen von Kriegern eingesetzt, die verstreut rund um zwei Lager in der Wüste schliefen. Laut Plan sollten die B-2er etwa 10.000 Kilometer weit fliegen und auf jeden einzelnen dieser Männer eine 250 Kilo schwere Bombe abwerfen.

(…)

 

„SPRITZER"


Die Anfänge dieser Mission gingen zurück auf die NATO-Intervention in Libyen während des Arabischen Frühlings im März 2011 – von Präsident Barack Obama später selbst als einer der größten Fehler seiner Regierung bezeichnet. Infolge ihres militärischen Eingreifens waren die Vereinigten Staaten unentrinnbar in das Chaos nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi verstrickt. Gaddafi stammte aus der Küstenstadt Sirte, die auf halbem Weg zwischen Tripolis und Bengasi liegt. Wie andere Alleinherrscher auch baute er seine Heimatstadt über Jahrzehnte zu einem Denkmal für sich selbst aus und zog sich nach seiner Vertreibung aus Tripolis dorthin zurück. Danach hielt er noch mehrere Monate in Sirte aus, bevor Rebellen seine Trutzburg stürmten. Am 20. Oktober 2011 stoppte ein amerikanischer Drohnenschlag den Konvoi, in dem zufällig Gaddafi aus der Stadt zu entkommen versuchte. Aufständische nahmen ihn gefangen und töteten ihn. Zu diesem Zeitpunkt hatten Luftschläge und Bodenkämpfe Sirte nahezu zerstört. Die seit langem leidende Stadtbevölkerung machte sich unter dem wenig verläßlichen Schutz einer Miliz mit islamistischen Verbindungen an den Wiederaufbau, während das übrige Libyen in Kämpfen zwischen immer neuen Splittergruppen um die Macht im Land versank. Als der Islamische Staat (IS) 2014 in Syrien und Irak an Boden gewann, unterstellten sich libysche Islamisten seinem Anführer Abu Bakr al-Baghdadi. Anfang 2015 gelang es ihnen, Sirte zu infiltrieren, die dortige Miliz für ihre Sache einzunehmen und die Stadt zu einem Teil ihres heiligen Kalifats zu erklären. In der Folge kamen weitere Kämpfer aus anderen Ländern nach Sirte, bis die Islamisten dort etwa 2000 Mann stark waren. Sie verhängten in der Stadt ihre eigene Version der Scharia, erhoben Wuchersteuern und ergingen sich in verschiedenen Greueltaten, von denen sie Propagandavideos anfertigten, die sie ins Netz stellten.
   In Washington wurde all das als amerikanische Angelegenheit betrachtet. Seit dem Zerfall von Gaddafis Regime hatte die Regierung Obama immer wieder versucht, einen neuen libyschen Staat aus dem Boden zu stampfen, der vielleicht nicht ganz nach ihrem Geschmack war, aber zumindest nur noch eine einzige Hauptstadt und Regierung haben sollte. Schließlich einigte sich die internationale Gemeinschaft auf eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde von Diplomaten zur einzig legitimen Exekutivbehörde in Libyen erklärt, obwohl sie nicht einmal die Hauptstadt unter Kontrolle hatte und der Großteil Libyens sich ihr gewaltsam widersetzte.

(…)

 

BENGASI ZUR LINKEN


Vor dem Einsatz wurden die Piloten zur Zwangserholung für drei Tage nach Hause geschickt. Aber sie alle hatten Frauen und Kinder daheim, und an diesem Wochenende gab es einen Eissturm. Ohnehin war Müdigkeit das letzte, woran Scatter dachte, als er am Montag nachmittag einbestellt wurde. Er fuhr mit seinem fünfzehn Jahre alten, abbezahlten Dodge Ram-Pickup zum Stützpunkt. Der Flug über den Atlantik verlief ohne Zwischenfälle. In über 10.000 Metern Höhe war der Himmel wolkenlos. Um den üblichen politischen Schwierigkeiten beim Überfliegen anderer Länder für solche Einsätze auszuweichen, verlief der Kurs in Richtung Mittelmeer etwas weiter südlich als die kürzeste Verbindung. Die Piloten hielten Kontakt mit der Meeres-Luftraumüberwachung. Funkkontakt zwischen Militärflugzeugen und derartigen zivilen Einrichtungen ist üblich und für die Sicherheit des sonstigen Luftverkehrs notwendig. Alle diese Stellen gingen höchstwahrscheinlich von einem B-2-Übungsflug aus.

(…)

 

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