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Cover Lettre International 48, Philip Rantzer
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Inhaltsverzeichnis

LI 48, Frühjahr 2000

Der versilberte Elfenbeinturm

Globale Wissensindustrie und akademischer Kapitalismus

(...)

Am 12. Dezember 1980 brachten die Senatoren Birch Bayh und Bob Dole ein von zwei Parteien unterstütztes Gesetz durch, den Bayh- Dole Act (Public Law 96-517), die Patent and Trademark Act Amendments von 1980. Dieses Gesetz wurde in Reaktion auf die Aussichten eines sich verschärfenden globalen Wettbewerbs verfaßt, einer befürchteten (wiewohl nicht tatsächlichen) Kürzung der Forschungsfinanzierung durch den Bund, Druck zur Verschlankung der Strukturen, einschließlich F & E, und dem daraus resultierenden erhöhten Bedarf an akademischer Forschung. Während der Jahre der Reagan-Thatcher-Ökonomie gewann der Einsatz öffentlicher Mittel für Privatunternehmen schnell an Respekt und Bedeutung. Das Gesetz, mit inzwischen mehrfachen Überarbeitungen, ermöglicht es Universitäten, kommerziell tätig zu werden – dies bedeutet einen Rechtsanspruch auf Erfindungen, die aus mit öffent! lichen Mitteln finanzierten Forschungsprogrammen entwickelt wurden, diese zu besitzen, zu patentieren und zu behalten. Universitäten und Forschungsinstitute konnten zunächst durch keinen Gewinn anstrebende Start-ups oder kleine nationale Firmen kommerziell tätig werden, später jedoch durch Firmen jeder Art, ungeachtet ihrer Größe oder Nationalität. Vor 1980 wurden Institutionen jährlich weniger als 250 Patente zuerkannt, während dies im Finanzjahr 1996 über 2.000 und im Finanzjahr 1997 über 2.740 waren. Seit 1980 wurden mehr als 1.500 Start-up-Firmen gegründet, darunter 333 im Finanzjahr 1997 (das entspricht einer Steigerung von 34 Prozent gegenüber den 246 im Finanzjahr 1996), basierend auf Technologien, die an Universitäten und Forschungsinstituten entwickelt wurden. Die Einnahmen in Form von Lizenzen, Dividenden, Optionen, Gebühren etc. sind immer noch relativ klein. Im Finanzjahr 1997 betrugen die Bruttogesamteinkünfte aus Lizenzen und Optionen auf Anfrage der Association of University Technology Managers (AUTM) lediglich 698,5 Millionen Dollar. (Das sind immer noch 18 Prozent mehr als die 591,7 Millionen Dollar im Finanzjahr 1996, was wiederum 19,6 Prozent mehr sind als die 494,7 Millionen Dollar 1995.) Was eine "exponentielle" Zunahme an Technologielizenzierungsaktivitäten bedeutet. Obwohl die direkten Einnahmen nur einen Bruchteil des gesamten Universitätsbudgets darstellen, oder auch nur der von Universitäten gesponserten Forschungsausgaben (von 1 bis 5 Prozent), täuschen diese kleinen Zahlen über die tatsächliche ökonomische Dynamik von Forschung und Entwicklung an Universitäten hinweg.

Die Beziehungen zwischen Universität und Industrie sind erheblich enger als gemeinhin bekannt. Erstens bilden Start-up-Firmen eine Trabanten-Forschungs-und-Entwicklungs-Gemeinschaft, die Studenten und Graduierten Jobs und Ausbildung ermöglicht, während die Firmen Informationen und Technologie von den Universitäten erhalten. Außerdem sollen akademische Lizenzierungen im Finanzjahr 1997 250.000 hochdotierte Jobs geschaffen und 30 Milliarden Dollar in der amerikanischen Wirtschaft erzeugt haben (verglichen mit 212.500 Jobs und 24,8 Milliarden im Jahr zuvor). Zweitens entwickeln sich einige den Universitäten angegliederte Labors und Firmen zu Unternehmen weiter, die daraufhin industrielle Forschungsparks wie Silicon Valley, Route 128, Research Triangle (Duke, University of North Carolina, North Carolina State University), Princeton Corridor, Silicon Hills (Texas), die Medical Mile (Penn and Temple University), Optics Valley (University of Arizona) und das Golden Triangle (UC San Diego) bilden. Dies sind die Campus-Landschaften im ausgehenden 20. Jahrhundert, die die gotischen Türme von Heidelberg mit ihren Duellen, Liedern und Liebesgeschichten oder Oxford und Cambridge mit ihren Kapellen, Pubs und Buchhändlern ersetzen.

Es herrscht ein scharfer Wettbewerb unter den Universitäten um ein größeres Stück vom Kuchen der Mittel für F & E, um Projektsubventionen und Lizenzeinnahmen, aber auch um Prestige, das man mit einem Platz unter den Spitzenforschungsuniversitäten erlangt. Das UC-System ist mit Abstand die größte Forschungsuniversität mit gesponserten Forschungsausgaben von über 1,6 Milliarden Dollar, gefolgt von der Johns Hopkins University mit 942 Millionen Dollar und dem MIT mit 713 Millionen Dollar im Finanzjahr 1997. Auch bei den Bruttolizenzeinnahmen führt UC mit 67,3 Millionen, gefolgt von Stanford (51,8 Millionen), der Columbia University (50,3 Millionen) und dem MIT (21,2 Millionen). Die UC ist ebenfalls ein Hauptempfänger von Forschungsdollars aus Bundestöpfen, indem sie über 10 Prozent der insgesamt für Forschung an amerikanischen Universitäten ausgegebenen Mit! tel erhält (12,3 Milliarden im Finanzjahr 1996). Man muß sich in Erinnerung rufen, daß diese Bundesmittel Erfindungen an den Universitäten generieren, die anschließend lizenziert oder zur Vermarktung an kommerzielle Entwickler abgegeben werden. (Die korrespondierende Zahl für Wirtschaftsmittel im Finanzjahr 1996 ist 1,5 Milliarden Dollar, etwas mehr als ein Zehntel der Bundesmittel.)

Inmitten dieser gesteigerten ökonomischen Aktivität verdient der Lehrkörper der Universität ("Erfinder") zwischen 25 und 50 Prozent – abhängig vom Betrag und den Institutionen – der Lizenzgebühren von den Institutionen, in deren Namen die Forschung durchgeführt wird und die Patente ausgestellt werden. Laut Atkinson ist die UC "ein 11,5- Milliarden-Dollar-per-anno-Unternehmen. Der Staat Kalifornien steuert etwa 2 von diesen 11,5 Milliarden bei, was bedeutet, daß wir für jeden Dollar des Staates fast fünf Dollar an anderen Mitteln generieren." (Atkinson). Ist nicht genau dies der Ursprung seiner Überzeugung bezüglich der Zukunft der Forschungsuniversität der Vereinigten Staaten beziehungsweise der ganzen Welt?

Was den Transfer staatlich finanzierter Forschungsergebnisse an die Industrie betrifft, die Umwandlung von nicht auf Profit orientierter Gelehrsamkeit in gewinnorientierte Forschung und Entwicklung, mag auf der Grundlage als durchaus gerechtfertigt angesehen werden, daß inaktive Staatsmittel von privaten Entwicklern zum öffentlichen Wohl genutzt und aktiviert werden. Die Wirtschaft erzielt Profite und erweitert damit die ökonomische Grundlage; Studenten erhalten praxisnahe Ausbildung. So wird die Universität unmittelbar in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt. Man könnte sagen, daß der High-Tech-Zufluß zu einem starken Anstieg des Lebensstandards und der Urbanisierung einer ganzen Region führt, wovon auch die Allgemeinheit und der Forschungspark profitieren.

Es gibt jedoch eine ganze Reihe Haken und Fallstricke, die von enthusiastischen Verwaltungsbeamten und die Richtlinien der Politik bestimmenden Menschen nur zu gern ignoriert werden. Erstens die Betonung auf Patentierung, d.h. die Umwandlung von Wissen in geistiges Eigentum, bedeutet den Ausschluß anderer von der Teilhabe an diesem Wissen. Die Angst vor Veröffentlichung, wodurch die kommerzielle Möglichkeit eines Patentes und Lizenzeinnahmen annulliert würden, behindert den freien Informationsfluß, der durch die konventionellen Mittel von Abhandlungen in wissenschaftlichen Journalen ermöglicht würde. Staatliche Finanzierung sollte einen völlig offenen Zugang zu allen Entdeckungen und Erfindungen ermöglichen, die durch sie entstanden. Patentierungen verzögern die Verbreitung von Informationen, und das Prinzip der freien Untersuchung wird kompromittiert. "Kommunikation unter Forschern leidet, wenn ‘die Regeln des Geschäfts über den Regeln der Wissenschaft stehen’; Kollegen sind zunehmend weniger bereit, ihr Datenmaterial zu teilen." (Atkinson)

Zweitens, die eigentlichen Nutznießer akademischer technologischer Erfindungen sind nicht die Konsumenten und Steuerzahler, sondern Firmen und Unternehmer, die häufig enorme Profite durch alles andere als faire Preise erzielen. Falls der Bayh-Dole Act dazu dienen sollte, öffentlich geförderte Erfindungen der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, dann wird eine solche Absicht jedenfalls nicht immer erfüllt. Lassen Sie mich zwei Beispiele anführen, wo öffentliche Gelder mißbräuchlich genutzt wurden. Einer der berühmt-berüchtigsten Fälle ist der Vertrag aus dem Jahr 1993 zwischen dem Scripps Research Institute und Sandoz, einem multinationalen Biotechnikunternehmen mit Sitz in der Schweiz. Als Gegenleistung für eine Subvention in Höhe von 300 Millionen Dollar überließ Scripps Sandoz eine führende Rolle in seinem Joint Scientific Council und damit Zugriff auf Forschungsergebnisse, noch bevor die finanzierende Behörde (das National Institute of Health [NIH]) verständigt wurde, und Lizenzen zur Vermarktung sämtlicher Entdeckungen von Scripps, die ausnahmslos von der Bundesregierung mit 1 Milliarde Dollar finanziert wurden. Das Geschäft wurde von einem Untersuchungsausschuß des Kongresses geprüft, und am Ende wurden Scripps und Sandoz gezwungen, den Vertrag herunterzuhandeln. Scripps ist im strengen Sinne vielleicht keine Universität, aber es ist auf jeden Fall eine Institution, die akademische Grade verleiht. Ein sehr ähnlicher Vertrag wurde zwischen Sandoz und dem Dana-Farber Institute getroffen, einem Lehrkrankenhaus von Harvard. Für eine Subvention in Höhe von 100 Millionen Dollar trat Dana-Farber die Rechte an der Dickdarm-Gen-Forschung, die von der US-Regierung finanziert worden war, an Sandoz ab. Weiterhin bestimmt der Vertrag, daß jeder, der Sandoz-Geld annahm, Sandoz die Lizenzierungsrechte an seinen Forschungsergebnissen überlassen mußte. Unternehmen sparen gewaltige Summen, indem sie Forschung von Universitäten durchführen lassen und die Gewinne einstreichen, indem sie einen vergleichsweise kleinen Betrag an Gebühren und Tantiemen investieren. Ihre Finanzierung einiger Aspekte der Forschung ist weit davon entfernt, reichlich oder ausreichend zu sein. Sollte nicht ein Teil des Unternehmensgewinns an die Öffentlichkeit, d.h. den Steuerzahler zurückfließen?

Nicht weniger alarmierend als die Verwertung öffentlich finanzierter Forschung ist das Problem des Konflikts von Interessen und/oder Verpflichtung – insofern es die Frage der akademischen Integrität umfaßt, nämlich freier wissenschaftlicher Untersuchung und akademischer Freiheit. Es gibt einen Fall, der nicht direkt als Beispiel für Technologietransfer steht, aber doch mit dem Thema eng verwandt ist und die Risiken der Allianz zwischen Universität und Industrie andeutet. Im April 1998 wurde von Atkinson ein Untersuchungsausschuß gebildet, der die Berechtigung von aktiven Mitgliedern der UC prüfen sollte, professionellen Interessen außerhalb der Universität nachzugehen. Der Dekan des College of Natural Resources, ein Betriebswirtschaftsprofessor, ein Volkswirtschaftsprofessor und ein Juraprofessor, alle vom UC Berkeley Campus, hatten gemeinsam eine Rechts- und Wirtschaftsberatungsfirma namens Legal and Economic Consulting Group (LECG) gegründet. Laut offiziellem Mitteilungsblatt des UC Academic Senate fand der San Francisco Chronicle heraus, daß dasjenige Mitglied der Firma, das am wenigsten verdiente, nach dem Börsengang 14 Millionen Dollar an LECG- Aktien besitzen würde, während das meistverdienende Mitglied der Firma Aktien im Wert von 33 Millionen erhielt. Akademiker im ganzen Land sind als Berater für diese Firma tätig, einige von ihnen verfügen über bedeutende Verbindungen nach Washington DC. Der Juraprofessor war leitender Wirtschaftswissenschaftler im Council of Economic Advisors. Ein weiterer Hauptaktionär und derzeit beurlaubter Juraprofessor der UC Berkeley hat die Position des stellvertretenden Assistant Attorney General der Antitrustbehörde im Justizministerium inne, ein Job, den vor ihm der Volkswirtschaftler der Gruppe bekleidete. Eine der Hauptakteurinnen der Firma ist Laura D’Andrea Tyson, Dekanin der Haas School of Business. Man wird sich erinnern, daß sie in der ersten Clinton-Regierung zunächst Vorsitzende des White House Council of Economic Advisers und später National Economic Adviser des Präsidenten und Vorsitzende des National Economic Council war. Die Firma verfügt über weitreichenden Sachverstand unter anderem auf Gebieten wie Kartellrecht, Umwelt- und Naturschätzewirtschaft, geistiges Eigentum, internationaler Handel und Politik sowie Privatisierung. Zu ihren Klienten gehören nicht nur Großunternehmen, sondern auch die Regierungen von Ländern wie Argentinien, Japan und Neuseeland. Der Dekan, Gordon Rausser, sieht weder einen Interessen- noch einen Verpflichtungskonflikt, während die Universitätsverwaltung verkündet, daß "sie von ihren Lehrkräften externe professionelle Arbeit nicht nur akzeptiert, sondern sogar ermutigt, da solche Arbeit für beide Seiten von Nutzen ist". Meiner Meinung nach handelt es sich hier um einen Verpflichtungskonflikt par excellence, der die Jury in jene teilt, die glauben, daß es niemanden etwas angeht, was man in seiner Freizeit macht, und solche, welche die angebliche Teilbarkeit von Engagement bestreiten. Rein rechtlich ist die Arbeitsverteilung im Zeitplan eines akademischen Angestellten (Arbeitgeberzeit versus Freizeit) nahezu unmöglich zu ermitteln (Gedanken wandern umher, nicht wahr?), während moralisch gesehen die direkte und umfassende Kommerzialisierung des wissenschaftlichen Sachverstandes ganz klar die Idee einer Universität als Stätte der freien Forschung in Frage stellt. Tatsächlich ist heute an vielen Forschungsuniversitäten die Spannung zwischen altmodischen "reinen" Wissenschaftlern und "zukunftsorientierten" unternehmerischen Lehrkräften offenkundig.

Der zweite Fall von Interessenkonflikt – und ein weiteres Beispiel für Technologietransfer – betrifft ebenfalls die Teilung von Interessen, Zeit und Energie zwischen gemeinnütziger Gelehrsamkeit und gewinnorientierter F & E. Gordon Rausser, derselbe einfallsreiche Dekan des College of Natural Resources, UC Berkeley, ist in einen anderen Fall verwickelt, bei dem es diesmal um Sandoz geht, das inzwischen mit Ciba- Geigy fusioniert hat, die unter Novartis firmiert, der weltweit größte Biotechnik-Konzern. Der Deal ist sehr ähnlich der Sandoz-Harvard-Partnerschaft. Eine neue Novartis-Tochter, das Novartis Agricultural Discovery Institute Inc. in La Jolla, wird für die Erforschung von Pflanzengenomen, für den allgemeinen Haushalt und Graduiertenstipendien 25 Millionen Dollar an das Institut zahlen. Im Gegenzug erhält Novartis die Lizenzoption für 30 bis 40 Prozent der Forschungsprodukte. Geleitet wird die Forschung von einem Ausschuß, bestehend aus drei Novartis-Wissenschaftlern und drei Professoren der UC Berkeley. Ein weiterer Ausschuß, der bestimmt, welche Projekte finanziert werden, besteht aus drei Berkeley-Professoren und zwei Novartis-Wissenschaftlern. Dies ist der erste Forschungsvertrag, der je zwischen einem gesamten Fachbereich einer Universität und einem gewinnorientierten Unternehmen geschlossen wurde. Ist dies die Allianz von Universität und Wirtschaft, welche von den Schöpfern des Gesetzes aus dem Jahre 1980 intendiert war? Ist die Öffentlichkeit Nutznießerin der veröffentlichten Forschungsergebnisse? Oder vielmehr der schweizerische multinationale Konzern und die Unternehmer der UC? Ist die Öffentlichkeit privatwirtschaftlich und die Privatwirtschaft öffentlich? Die kumulativen Effekte solcher Forschungspräferenzen werden fraglos ei! ne nachhaltige Wirkung auf die Natur der universitären Lehre haben.

Zukünftige Probleme im Zusammenhang mit akademischer Freiheit sind vorhersehbar. Wie um solchen Ängsten vor Eingriffen zuvorzukommen, konstatierte der für Forschung zuständige Vizekanzler der UC Berkeley: "Diese Forschungskooperation basierte auf einem offenen Diskussionsprozeß, der sehr sensibel Fragen des öffentlichen Wohls und traditioneller universitärer Befürchtungen bezüglich der akademischen Freiheit berücksichtigte." Der CEO von Novartis La Jolla drückte andererseits seinen Standpunkt aus: "Diese Forschung ist, meiner Meinung nach, die definitive Konstatierung akademischer Freiheit. Es ist nicht einfach nur die Freiheit, sich zu wünschen, etwas tun zu können, es sind vielmehr die Ressourcen, die einem die Freiheit verleihen, es auch tatsächlich tun zu können." Es liegt auf der Hand, daß dieser Mann keine Kenntnis darüber besitzt, daß akademische Freiheit grundverschieden ist von freiem Unternehmertum unter Akademikern.

Vorgeblich gemeinnützige Universitäten sind somit derzeit damit beschäftigt, Partnerschaften mit der Wirtschaft einzugehen. Ihr Ziel sind mehr Haushaltsmittel und Ressourcen, aus denen sich marktfähiges geistiges Eigentum entwickeln läßt, das wiederum der Wissenschaft wie der Wirtschaft nutzt. Der Kreislauf wird fortgesetzt von Firmen, die Universitäten im Gegenzug Subventionen und Gelder zahlen. Nehmen wir das Beispiel der University of Chicago. Während die UC, Stanford und die Columbia um die Führungsstellung in der Lizenzierung ihrer Technologien konkurrieren, sah die Universität von Chicago, die keine ingenieurwissenschaftliche Fakultät besitzt, ihren landesweiten Rang bei der Wissenschaftsfinanzierung über zwei Dekaden von einem Platz unter den ersten zehn auf einen unter den ersten zwanzig Hochschulen fallen. Um aufzuholen, gründete Chicago 1986 ein internes Risikokapitalunternehmen. Unter dem Namen ARCH Development Corporation ist es ein Joint-venture mit dem Argonne National Laboratory, um "eine erweiterte Gemeinschaft", bestehend aus Verwaltungsfachleuten, Professoren, "potentiellen CEOs, Beratern, Partnern und Investoren zu entwickeln". Der in Harvard abgeworbene Direktor der biomedizinischen Abteilung hat die Hälfte seines Führungspersonals ausgetauscht und verfügt nun nach seinen Worten über "unternehmerisch denkende Mitarbeiter, die sowohl für Geldbeschaffung als auch für die Entwicklung von Produkten verantwortlich sind". Der Chef des Unternehmens spricht von "einer neuen Moral": "Ich habe dem Lehrkörper gesagt, daß sie die zusätzliche Verantwortung tragen, über die bloße Entdeckung von neuem Wissen hinauszugehen. (…) Die Stellenbeschreibung heißt nicht mehr, in seinem Labor herumzusitzen, zu denken und von mir zu erwarten, daß ich sämtliche Ressourcen bereitstelle."

Die University of Pittsburgh und die Carnegie Mellon University haben gemeinsam Innovation Works, Inc. gegründet, die Start-up-Kapital beschaffen soll, um bei F & E, Vermarktung und weiteren flankierenden Dienstleistungen behilflich zu sein. UC hat ihre eigene BioSTAR (die Biotechnology Strategic Targets for Alliances in Research), die ganz ähnlich versucht, private Beteiligungen für biologische Studien zu finden. Ferner gibt es das MICRO-Programm für Mikroelektronik und Computerindustrie, und es existieren Pläne, noch einige weitere systemweite Programme ins Leben zu rufen, die sich den Ingenieurwissenschaften und der Kommunikationstechnologie widmen. Ihr Technology Transfer Office, sowohl systemweit als auch campusspezifisch zuständig, koordiniert die Nutzanwendung der Ergebnisse universitärer Forschung, indem für sie potentielle Lizenznehmer gesucht werden. "Die daraus resultierenden Lizenzeinnahmen stellen einen Anreiz für Erfinder und Autoren der Universität dar [i.e. Lehrende und Forscher], sich aktiv am komplexen Technologietransferprozess [i.e. Verkäufen] zu beteiligen, finanzieren weitere universitäre Forschungsprojekte und unterstützen die Durchführung des Technologietransferprogramms der Universität." Jeder Campus hat seine eigenen Programme, wie beispielsweise San Diegos Connect, das für Kontaktaufnahme und Kooperation zwischen Campus und lokaler Industrie sorgt. Cal State, Stanford, USC und das California Institute of Technology, um nur einige kalifornische Hochschulen zu nennen, haben jeweils ein entsprechendes eigenes Projekt, und all diese Unternehmen zeigen Anzeichen einer wachsenden synergetischen Beziehung zwischen Industrie und Hochschule. Die Bürokratie reproduziert und vergrößert sich selbst, wie Pierre Bourdieu bemerken würde, während sie aus Wissenschaftlern Firmenangestellte und Manager macht. Universitätsverwaltung ist inzwischen eine beständige Wachstumsindustrie, die traditionelle Wissenschaften in jeder Disziplin überholt. "Historisch", sagt der für Industriepartnerschaften und Kommerzialisierung zuständige Direktor des Lawrence Livermore National Laboratory, "waren wir bis vor etwa fünf Jahren eine geschlossene Einrichtung. Heute jedoch sind wir mehr an der Effizienzmaximierung der eingesetzten Dollars interessiert." Von der Ostküste bis zur Westküste, von Amerika bis Japan, von Australien bis Europa ist die Transformation der Wissenschaft in nahezu allen Institutionen unbestreitbar, die in der Lage sind, wirtschaftliche Interessen auf sich zu lenken.

Es ist keine Frage des Technologietransfers, wenn auch sicherlich damit zusammenhängend, daß die direkte Beteiligung von Wirtschaftsunternehmen an akademischer Forschung den Interessenkonflikt zu verschärfen und die Integrität wissenschaftlicher Projekte und Meinungen zu gefährden droht. Sheldon Krimsky, Professor für Stadt- und Umweltpolitik an der Tufts University, untersuchte 789 im Jahr 1992 in vierzehn führenden Fachpublikationen veröffentlichte Artikel über Biologie und Genetik. Diese Artikel waren von Wissenschaftlern an nicht gewerblichen Forschungsinstituten in Massachusetts verfaßt worden. Autoren wurden definiert als einem finanziellen Interesse folgend, wenn sie erstens auf einem Patent oder einem Patentantrag genannt wurden, zweitens einem wissenschaftlichen Beratungsgremium einer Biotechnikfirma angehörten, die ein verwandtes Produkt entwickelte, drittens Vorstandsmitglied oder Aktionär einer Firma waren, die kommerzielle Beziehungen zur Forschung hatte. Krimsky fand heraus, daß 34 Prozent der untersuchten Artikel ein finanzielles Interesse an der beschriebenen Forschung hatten. Berater- oder Honorartätigkeiten wurden nicht berücksichtigt, da sie unmöglich zurückzuverfolgen sind. Wenn diese Faktoren einbezogen werden, geht er von einem noch beträchtlich höheren Prozentsatz aus.

Die Frage des Interessenkonflikts ist alles andere als klar. Macht finanzielle Beteiligung an sich die Gültigkeit eines wissenschaftlichen Ergebnisses bereits zunichte? Aktienbesitz? Sollten sämtliche finanziellen Aktivitäten offengelegt werden?

Es gibt viele Wissenschaftler, die dies anders sehen. Kenneth J. Rothman, Professor für öffentliches Gesundheitswesen an der Boston University und Herausgeber der Fachzeitschrift Epidemiology, schrieb im Journal of the American Medical Association, daß eine solche Offenlegung "zwar die Vermutung nahelegen könnte, jemand stehe in einem Interessenkonflikt", doch sage dies "noch lange nichts darüber aus, ob tatsächlich ein Problem mit der Arbeit vorliegt oder ob die Voraussage eine ‘falsche Vermutung’ darstellt." Er nannte es den "neuen McCarthyismus in der Wissenschaft". Seit 1992 haben sich mehrere Fachzeitschriften – das Journal of the American Medical Association, Science, die Lancet, das New England Journal of Medicine und die Proceedings of the National Academy of Sciences – eine Politik der finanziellen Offenlegung zu eigen gemacht, während andere – wie beispielsweise Nature – Transparenz als unnötig ignorieren. Vertreter der letztgenannten Gruppe bestehen darauf, daß die Arbeit für sich und nicht im Hinblick auf die Beziehungen des Autors evaluiert werden sollte, was die Vorstellung des wahrgenommenen Interessenkonflikts praktisch ausradiert. Wird diese Interpretation den Anstoß zu einem radikalen Abschied von der gewohnten Rechtsvorstellung geben?

Es gibt zahlreiche komplexe Fälle von zumindest "wahrgenommenem Konflikt", die in der Tat minuziöse Vertragsdetails erfordern würden, um nominell korrekt zu sein. Eine angemessene Erörterung solcher Fälle an dieser Stelle würde dieses Essay von seinem eigentlichen Thema abbringen. Einige wenige allgemein gehaltene Beispiele können aber vielleicht eine grobe Vorstellung vermitteln: Der Herausgeber einer Fachzeitschrift und Universitätsprofessor akzeptiert Artikel und lehnt andere ab, die ein pharmazeutisches Produkt evaluieren, an dem er/sie ein finanzielles Interesse hat, und sämtliche abgelehnten Beiträge stellen das Produkt in Frage, während sich die angenommenen dafür aussprechen; ein Forscher lobt ein Medikament, das von einer Firma hergestellt wird, an der er eine beträchtliche finanzielle Beteiligung besitzt; ein Klimaforscher, der die globale Erwärmung bestreitet, während er nicht offenlegt, daß er sowohl von der Erdölindustrie als auch von der Regierung eines ölexportierenden Landes bezahlt wird; Firmensponsoren – zum Beispiel Pharmaunternehmen – bestehen darauf, die Forschungsberichte zu prüfen, zu überarbeiten und zu genehmigen. Gegen viele Zwänge kann man sich erfolgreich wehren, aber nicht immer. Denn schließlich ist die Entwicklung effizienter Medikamente extrem kostspielig, und da eine Finanzierung durch den Bund oder den Staat nicht immer zur Verfügung steht, sind Forschungsmittel der Wirtschaft heißbegehrt. Manche Projekte werden für die Gesundheit der Bevölkerung von immensem Nutzen sein. Nichtsdestoweniger schützt die letztendliche Bedeutung eines Endproduktes das Forschungsprojekt nicht davor, für Kompromisse anfällig zu sein. Während die meisten Gelder völlig rechtmäßig und ehrenwert fließen, macht die zunehmende Kommerzialisierung der Forschung offensichtlich auch Gefahren wahrscheinlicher.

Schlußendlich, nutzt eine High-Tech-Verwirtschaftlichung der Allgemeinheit in der Nachbarschaft der Universität? Gewiß, die Industrie freut sich über die preiswerte, durch den Steuerzahler finanzierte und von der Universität angebotene F & E. Die Universitätsmanager, die häufig in den Firmenvorständen sitzen, erhalten eine gewisse Vergütung und Befriedigung. Auch richtig ist, daß sich eine ganze Reihe – etwa jedes vierte – Start-up-Unternehmen zu am Markt erfolgreichen Firmen entwickeln, und selbst wer scheitert, kann es erneut versuchen, und ihre gut ausgebildeten Angestellten finden jederzeit woanders neue Stellen. Aber was ist mit der Öffentlichkeit außerhalb der Privatunternehmen? Technologieparks bringen zweifelsohne Arbeitsplätze und Einkommen. Der Zufluß hochbezahlter Forscher leistet sicher einen Beitrag zum Wachstum von Einzelhandelsgeschäften und Märkten, was wiederum zu steigenden Umsätzen der Dienstleistungsbranchen führt. Andererseits bedeutet eine solche schnelle Urbanisierung auch einen steilen Anstieg der Immobilienwerte, was zu wildwuchernden Wohnsiedlungen und daraus resultierenden Verkehrsstaus führt. Dies löst einen Teufelskreis der weiteren Zersiedelung, von noch mehr Verkehrsstaus und vor allem einer Verschlechterung der Umweltbedingungen aus. Und die Kosten der Infrastrukturmaßnahmen für eine solche Entwicklung müssen zur Gänze von den regionalen und überregionalen Steuerzahlern übernommen werden. Über den zerstörerischen Effekt der Gleichgültigkeit des Silicon Valley gegenüber den angrenzenden Gebieten hat ein Beobachter folgendes zu sagen: "Der Durchschnittspreis eines Hauses im San Mateo County liegt bei über 400.000 Dollar; im Santa Clara County gibt esnahezu das gleiche Preisniveau. Ein großer Teil der Arbeiterschaft, die diese High-Tech-Maschine zum Laufen bringt, verbringt Stunde um Stunde als Pendler in und aus einem anderen Tal – dem Central Valley –, denn genau dort finden die Arbeiter noch bezahlbare Wohnungen. Luftverschmutzung, überfüllte Schulen und eine eklatante Ungleichheit zwischen Besitzenden und Habenichtsen – das alles sind Nebenprodukte des ökonomischen Internationalismus der High-Tech-Industrie." Anders als manche der älteren Städte – beispielsweise Pittsburgh, Pennsylvania, oder Portland, Oregon – die über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsen sind und wiederholt Wirtschaft und Bevölkerung an die geographischen Gegebenheiten angepaßt haben, fehlt es den High-Tech-Forschungsparks an den beschaulichen Dingen des Lebens wie zum Beispiel Spazierwegen, Parkanlagen, Aussichtspunkten, Theatern, alten Geschäftsvierte! ln, Plätzen – den Räumen für Flaneure. Statt dessen bieten Einkaufszentren mit ihren vorgetäuscht öffentlichen Räumen die einzige Begegnungs- fläche für Jung und Alt. Sollte nicht die Universität einen Ort bieten, dies alles noch einmal zu überdenken, bevor es zu spät ist?

Die privatwirtschaftliche Orientierung einer Universität bedeutet in der aktuellen ökonomischen Situation ihre Globalisierung, da entscheidende Unternehmen typischerweise transnational sind. Universitäten sind über unzählige internationale Beziehungen untereinander verbunden. So ist es beispielsweise nahezu unmöglich, an einer x-beliebigen Universität in einer x-beliebigen Industrienation einen Wissenschaftler zu finden, der nicht bereits als Student oder Wissenschaftler einen längeren Zeitraum an wenigstens einer ausländischen Hochschule verbracht hat. Besuche, Austausche und Konferenzen sind fester Bestandteil des akademischen Lebens. Veröffentlichungen sind nicht selten transnationale Gemeinschaftsarbeiten, und ihre Verbreitung ist weltweit. Techniker und Intellektuelle der Dritten Welt sind in den Metropolen willkommen. Auszeichnungen wie die Fields Medal und die Pritzker-, Kyocera- und Nobelpreise sind natürlich global; das gleiche gilt in zunehmendem Maße auch für wichtige akademische Berufungen. Ausländische Studenten, früher aus geopolitischen Gründen verfolgt, werden heute wegen der Studiengebühren aktiv rekrutiert, die sie von reichen Familien der Dritten Welt mitbringen. Die Herkunft einer Forschungsfinanzierung – Haushaltsmittel, Projektunterstützung, Stiftung von Lehrstühlen, Stipendien und Forschungsstipendien – ist oft grenzüberschreitend, wie wir bereits gesehen haben. Diese Entwicklung trägt offensichtlich zu einer größeren Verbreitung von Information und Verständnis, auch von Kapital und Technologie bei und hilft, regionale und kulturelle Mißverständnisse und falsche Darstellung zu beseitigen. Und hat in der Tat heilsame Aspekte.

Eine Gefahr jedoch, die nicht gänzlich ignoriert werden kann, ist die Entstehung einer globalen Wissensindustrie, die massiv Wissenschaftler und Studenten anzieht und absorbiert. Diese Industrie ist weit entfernt von jenem "Dorf", wie es sich die Verwaltungsbeamten der virtuellen Universität vorstellen, vielmehr ist es ein entterritorialisiertes Unternehmen. Transnationale Wissenschaftler, jetzt Karriereprofis, organisieren sich in einer ausgrenzenden Gruppe, die sowohl an ihren Herkunfts- als auch an ihren Ankunftsorten nur wenig mit ihren Mitmenschen zu tun hat, dafür aber um so mehr mit der transnationalen Unternehmensstruktur. Während Novartis expandiert, ist diese Firma das globale Modell, das Verwaltungsbeamte, Professoren, Forscher und Graduierte verschlingt. Englisch, die Lingua franca der Wirtschaft, ist ihre Standardsprache. Seit Generationen wurde die Erforschung, Interpretation und Kritik von sozialen, kulturellen und politischen Bez! iehungen als Ziel der Sozial- und Humanwissenschaften propagiert. Doch nun scheint die Wirklichkeit diese Fassade eingeholt zu haben. Der gewaltige Einfluß der globalen Informations- und Wissensindustrie auf die akademische Bildung, welche das dringendste Anliegen sein dürfte und sollte, wurde bis vor kurzem von Sozial- oder Humanwissenschaftlern kaum diskutiert oder auch nur eingestanden. Mit Beginn des Globalisierungsdiskurses jedoch breiten sich Begriffe wie Globalisierung und transnational – gemeinsam mit Multikulturalismus – wie jede andere Ware aus. Dabei wird er aufgesplittert, versteckt und keimfrei gemacht, wird von Experten gezähmt und sicher gemacht, als wäre der Globalisierungsdiskurs an sich bereits eine erfolgreiche kulturelle und intellektuelle Aktivität. Obwohl es in der Wissenschaft immer noch einen winzigen Raum für ernsthafte Untersuchung und Kritik gibt, schrumpft dieser Raum doch rapide, und die Reihen der unabhängigen Exzentriker lichten sich schnell. Das Versagen der Professoren in diesen "nicht angewandten" Abteilungen des Wissens, die laufende Kommerzialisierung der Universität zu diskutieren und zu intervenieren, wird auf schmerzhafte Weise eklatant – zumindest für manche Beobachter. Welches sind die intellektuellen Faktoren, die ein solches Versagen möglich werden ließen? Und welches sind die Rahmenbedingungen, die dieses Versagen gefördert haben? Das eisige Schweigen?

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