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Cover Lettre International 66, Miquel Barceló
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LI 66, Herbst 2004

Mit dem Feind im Bett

Zu den intimen Beziehungen zwischen Saudi - Arabien und den USA

(...) Die zakat ist eine der fünf Säulen des Islam – die übrigen sind das iman: der Glaube an einen Gott und an die Rolle Mohammeds als seines Propheten; das salah, das tägliche fünfmalige Gebet; das sawm, das Fasten während des Monats Ramadan; und der hadsch,  die Pilgerfahrt nach Mekka, die ein Muslim mindestens einmal im Leben zu unternehmen hat. Die zakat bedeutet die Verpflichtung eines jeden Muslim, 2,5 Prozent seines Reichtums und Vermögens an Mittellose abzugeben. Zugleich ist sie ein Akt der religiösen Ehrerbietung, eine Art und Weise, Gott für das eigene materielle Wohlergehen zu danken. Die zakat ist auch ein Strukturelement der islamischen Banken, die sie bei allen Geldgeschäften zur Anwendung bringen. Die zakat-Transaktionen kommen nicht in die Bilanzen und sind deshalb nicht zurückzuverfolgen; sobald die Überweisungen getätigt sind, werden die entsprechenden Unterlagen vernichtet.

In Saudi-Arabien stellt die zakat eine bedeutende Einkommensquelle dar – allein die 6 000 Mitglieder des saudischen Königshauses zum Beispiel verfügen über ein Vermögen von 600 Milliarden Dollar, so daß sich ihre zakat potentiell auf jährlich 15 Milliarden beläuft. Neueren UN-Schätzungen zufolge beträgt die gesamte saudische zakat etwa 10 Milliarden. Diese Gelder werden von einer speziellen zakat-Abteilung des saudischen Ministeriums für Finanzen und Nationale Wirtschaft verwaltet, das sie wiederum an die 241 saudischen Wohlfahrtsorganisationen weiterleitet. Darüber hinaus beziehen die karitativen Einrichtungen weitere 4 Milliarden jährlich aus privaten Spenden.

„Die an Wohlfahrtsorganisationen gezahlte zakat ist eine der Methoden, durch die islamistische Gruppierungen finanziert werden", bestätigt Ajescha Afgha-Siddiqa, eine pakistanische Verteidigungsexpertin. „Während der Achtziger haben die Saudis jedes Jahr eine Milliarde Dollar an militante islamistische Organisationen in Pakistan transferiert, meist unter dem Deckmantel von Spenden für wohltätige Zwecke." Im April 2002 wurde im Zuge der Operation Defensive Shield das Hauptquartier des Tulkarm-Wohltätigkeitskomitees durchsucht, einer mit der Hamas liierten Organisation mit Sitz im Westjordanland. Die dort gefundenen saudischen und pakistanischen Dokumente belegen, daß die Saudis über karitative Kanäle Selbstmordattentäter und andere Terroraktivitäten unterstützt haben. Über das Komitee für die Unterstützung der Intifada Al- Quds, eine saudische Wohlfahrtsorganisation, der der saudische Innenminister Naif Ibn Abdelasis vorsteht, flossen regelmäßig als Spenden getarnte Gelder in die besetzten Gebiete. Weitere Gelder treffen jeden Monat auf Konten der Cairo Amman Bank ein, einer Vertretung des Western Union Money Transfer Service, und zwar über zwei bedeutende Finanzlinien: eine von Damaskus über Jordanien, die andere von Saudi-Arabien über Ägypten. Die Cairo Amman Bank  hat 21 Geschäftsstellen in Palästina; zu ihrem Netzwerk gehören außerdem 51 Niederlassungen in Jordanien sowie ein Geflecht von Korrespondenzbanken in Ägypten.

Islamische Banken, und nicht die Wohltätigkeitsorganisationen, bilden die Lebensadern der wahhabitischen Erhebung, sie sind die Ernährer der bewaffneten Zellen. Ohne sie würden die „Terrorspenden" nicht die in aller Welt verstreuten operativen „Endverbraucher" erreichen. Mitglieder der saudischen Elite managen dieses komplexe finanzielle Netzwerk und sind deshalb in vollem Umfang verantwortlich für terroristische Angriffe. Das ist der Kern einer Schadensersatzklage in Höhe von einer Billion Dollar, die Angehörige der Opfer vom 11. September gegen hochstehende Mitglieder der saudischen Elite eingereicht haben. Unter den Beklagten befinden sich mehrere saudische Spitzenbanker: Saleh Abdullah Kamel und sein Bruder Omar Abdullah Kamel, wegen ihrer Rollen bei der Faisal Islamic Bank und der Dallah al-Baraka, zwei der im Prozeß genannten Parteien; Mohammad al- Faisal, Vorsitzender der Dar al-Maar al-Islami, einer in der Schweiz niedergelassenen Holding, welche Eigentümerin der Islamic Investment Company of the Gulf ist, der wiederum die Tochtergesellschaft Faisal Islamic Bank gehört. Interessanterweise haben die Beklagten große Summen in den USA investiert. Einen Tag, nachdem die Klage eingereicht worden war, wurden saudische Kapitalanlagen im Wert von 200 Milliarden Dollar aus den USA abgezogen.

Die meisten saudischen Bankiers sind Meister der finanziellen Täuschung, eine Kunst, die sie durch geheime Geldverschiebungen während des Kalten Krieges geübt und perfektioniert haben. Einer dieser Bankiers ist Scheich Khalid Bin Machfus, ein früherer Bankier der königlichen Familie, mit seinem Vermögen von 1,9 Milliarden Dollar laut Forbes Magazine Nummer 251 auf der Liste der Superreichen. Wie die meisten reichen Saudis verfügt Machfus über erstaunliche Beziehungen – auch zur Familie Bush, die ihn dabei unterstützte, einen Teil des Flughafens von Houston zu erwerben, damit er sein texanisches Anwesen leichter erreichen kann. Laut einem Bericht des US-Senats hat Machfus' Saudi National Commercial Bank während der achtziger Jahre Transaktionen im Zusammenhang mit der Iran-Contra-Affäre abgewickelt, bei denen Israel amerikanische Waffenlieferungen an den Iran vermittelte. Ebenfalls in die Affäre verwickelt war ein anderer angesehener saudischer Bürger, Adnan Khashoggi, ein Waffendealer, Playboy, Mitglied des Jet-sets und Magnat, der als Bürge bei einem geheimen, 17 Milliarden Dollar teuren Waffenverkauf der US-Regierung an Teheran auftrat. Die Niederlassung der Bank of Credit and Commerce International (BCCI) in Monte Carlo, wo damals die meisten Gelder für Geheimoperationen des CIA gewaschen wurden, erledigte bei dieser Transaktion die Geldtransfers.

Die BCCI war eine islamische Bank, die von drei Familien beherrscht wurde: den Machfus aus Saudi-Arabien, den Pharaon aus Abu Dhabi und den Gokan aus Pakistan. Obwohl sie in Pakistan eingetragen war, wurde das Kapital der Bank von den Saudis und ihren Freunden aufgebracht. Machfus' National Commercial Bank zum Beispiel gehörten zwanzig Prozent, ein weiterer Großaktionär war Kamal Adham, ein ehemaliger saudischer Geheimdienstdirektor, dessen Geschäftspartner der frühere CIA-Ortschef in Saudi-Arabien, Raymond Close, war. William Casey, der frühere CIA-Direktor, war so beeindruckt von den „speziellen" Dienstleistungen der Bank, daß er sie persönlich auserkor, um geheime CIA-Mittel zu den Mudschaheddin nach Afghanistan zu schleusen. Im übrigen gelang es Ronald Reagan dank der BCCI, die Iraner zu überreden, die amerikanischen Geiseln nach seiner Wahl zum Präsidenten freizulassen – eine Aktion, die heute unter als October Surprise bekannt ist.

Während der gesamten Achtziger, bis es wegen betrügerischer Machenschaften zusammenbrach, diente das zwielichtige Netzwerk der BCCI den Amerikanern dazu, einerseits die Sowjets in die Knie zu zwingen und andererseits die Saudis bei ihrem Versuch zu unterstützen, Machthaber der muslimischen Länder auf ihre Seite zu bekommen und vom Einfluß des Iran abzubringen. „Die Saudis betrachten den Iran als Bedrohung für ihren Führungsanspruch in der muslimischen Welt", erklärt Saad al-Faghi, ein prominenter saudischer Dissident. Teheran ist der größte Konkurrent im Prozeß der von Riad betriebenen religiösen Kolonisation. „Nach der iranischen Revolution begannen die Saudis antischiitische und antiiranische Organisationen in Pakistan finanziell zu unterstützen", räumt Arif Jamal ein, ein pakistanischer Spezialist für militante religiöse Gruppierungen. „Mit Hilfe saudischer Gelder wurden religiöse Organisationen in wahhabitische Brutstätten verwandelt und gegen Schiiten und Iraner aufgestachelt." Dieser rücksichtslose Hegemonialkrieg zwischen den beiden Hauptströmungen des Islam ist keineswegs vorbei. „Nach dem Zusammenbruch der albanischen Wirtschaft in den neunziger Jahren lieferten sich saudische und iranische Banken ein Kopf-an-Kopf-Rennen, um die Kontrolle über diesen muslimischen Brückenkopf in Europa zu erlangen", erklärt Matthew Levitt vom Washingtoner Institut für Nahostpolitik.

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