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Cover Lettre International 69, Breyten Breytenbach
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LI 69, Sommer 2005

Unsterbliches Scheitern

Die Stimme von Orson Welles und das Schweigen von Don Quijote

(…) Zahllose Bewunderer erinnern sich klar an die Bilder von Citizen Kane (1941). Sie zeigen einen jungen Orson Welles, der von eindringlicher und männlicher Schönheit war. Sein Gesicht besaß harte Kinnbacken, energisch wirkende Wangenknochen, eine breite, mächtige Stirn, und sein starker, kräftiger Körper schien dem cholerischen und galligen Charakter des William Randolph Hearst vollkommen zu entsprechen. Jahre später gestand Welles, daß ihm, als er diese Szenen filmte, nichts übrigblieb, als sich einen engen Gürtel umzuschnallen. Anders als die Bewunderer glaubten, hatte man den Sechsundzwanzigjährigen geschminkt, damit er so alt wirkte, wie er tatsächlich war. Von Jugend an war Welles für diese besondere Form der Größe vorherbestimmt, die in der Fettleibigkeit besteht.

Sieben Jahre nach Welles’ Tod stellte einer von seinen ehemaligen Assistenten, der wenig erfolgreiche spanische Cineast Jesús – oder Jess – Franco auf der Weltausstellung von Sevilla eine verfälschte Version des Don Quijote vor, die er aus dem von seinem Lehrmeister hinterlassenen gewaltigen Material zusammengestellt hatte. Das Vorhaben, diesen Film zu rekonstruieren, war zum Scheitern verurteilt: Welles hatte wohlweislich keine Erstkopie gekennzeichnet, so daß niemand außer ihm selbst die Reihenfolge der Szenen erkennen konnte. Die Botschaft war eindeutig: Wenn er seinen Quijote nicht beendete, sollte es auch kein anderer tun. Und für den Fall, daß dieses Argument nicht genügte, wies Welles auf den Roman des Cervantes hin, wenn ihn jemand fragte, ob er noch das Drehbuch habe, weil man vielleicht an die Möglichkeit dachte, eine Montage ohne seine Zustimmung vorzunehmen.

Francos Film, der den paradoxen Titel Don Quijote von Orson Welles trug, ist alles, nur nicht das, sondern eine ungeschickte Anhäufung von Sequenzen, die bestenfalls das Talent seines Mentors bestätigt, aber stets aufs neue hinter dem Entwurf zurückbleibt, den Welles in Dutzenden von Artikeln, Vorträgen und Interviews eingehend dargestellt hatte. Franco und seine Helferinnen waren dermaßen dreist, daß sie einen falschen Don Quijote erfanden, der sich von jenem unterschied, den sich der amerikanische Regisseur vorgestellt hatte, oder der ihm geradezu widersprach. Damit wurden sie unbewußt zu plumpen Epigonen des verabscheuenswerten Rivalen des Cervantes, des niederträchtigen Alonso Fernández de Avellaneda.

Nur wenn man überhaupt nichts von Welles’ Leben und Werk – und seinem Stil – weiß, darf man es wagen, die alberne Frage zu wiederholen, die ihm Hunderte von Reportern bis zu seinem Todestag gestellt haben: „Entschuldigen Sie, Mister Welles, warum haben Sie nie Don Quijote beendet?

Wie dies für Schuberts Unvollendete gilt, lauten die wesentlichen Fragen anders: Warum hat Welles so viele Jahre an seinem Don Quijote gearbeitet? Warum sprach er weiter über dieses Projekt, als stünde er kurz vor dem Abschluß? Warum dachte er in erster Linie an dieses Projekt? Warum gelang es ihm nie, wie er selbst sagte, sich von den Personen des Cervantes zu lösen, warum mußte er sie bis zum Ende seiner Tage „mit sich herumschleppen“?

Man darf die Antworten nicht auf einen oberflächlichen Vergleich zwischen Welles und Don Quijote beschränken: Wenn man sich auf eine derartige Ähnlichkeit beruft, bedeutet dies einen ebenso groben Irrtum, wie wenn man Cervantes mit seinem Helden identifiziert. Welles hatte nichts Donquichottisches an sich, wenigstens nicht im üblichen Sinn des Wortes: Er war kein Idealist und kein Wahnsinniger, ja er war nicht einmal gut; er sah sich nicht als einen unverstandenen Helden an und verwechselte selbstverständlich nie eine Magd mit einer Dame. Ganz im Gegenteil: Welles war anmaßend und mitteilsam, von seinem Talent überzeugt, unwiderstehlich, hemmungslos und unerbittlich. Mit einem Wort: genial. Und die Frauen, denen er gern nachstellte, waren bei weitem keine Verkörperungen von zimperlichen Dulzineen: Ihn faszinierten im Gegenteil die weiblichen Stars – die Prinzessinnen unserer Zeit –, die erst später – nachdem sie sich der Langeweile und Routine unterworfen hatten, die ihnen der Regisseur aufzwang – zeigten, daß sie die Gemütsart gewöhnlicher Frauen hatten.

Die Gründe, die Welles veranlaßten, sich mit Don Quijote auseinanderzusetzen, muß man also anderswo suchen: nicht bei seinem Helden, sondern in seiner Aufgabe als Erzähler. Vielleicht ist es das bedeutungsvollste Zeichen seiner Leidenschaft oder Manie – ein Psychoanalytiker fände seine Freude daran, dieses Detail zu erfahren –, daß Welles immer geplant hatte, einen Don Quijote als Stummfilm zu drehen. Oder um es genauer zu sagen, beinahe als Stummfilm: Die Abenteuer des sinnreichen Junkers sollten auf der Leinwand stumm vor sich gehen, während es Welles selbst übernehmen würde, jedes einzelne Ereignis im Off zu kommentieren.

Der arrogante und stolze Schöpfer von Citizen Kane wollte nicht zu einer einfachen Handlungsperson – nicht einmal zur Hauptperson –, sondern zum einzigen Erzähler der Geschichte werden. Darum enttäuscht die betrügerische Version Jess oder Jesús Francos so sehr, denn sie wird von den Stimmen der respektlosen Gruppe spanischer Komödianten vereinnahmt, die es gewagt haben, diesen Film zu synchronisieren. Welles träumte von einem Film, in dem man nur seine Stimme hörte. Denn Welles wollte sich nicht in Don Quijote verwandeln, sondern in Cervantes.

(…)

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