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Cover Lettre International 89, Leiko Ikemura
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Inhaltsverzeichnis

LI 89, Sommer 2010

Nach der Lust kalte Gier

Die Konjukturen des Kunstmarkts und die Chancen für junge Künstler

Harald Falckenberg im Gespräch

 

LETTRE INTERNATIONAL: Herr Falckenberg, Sie sind nicht nur Kunstsammler, sondern begleiten das Sammeln auch schreibend. Was sind die Motive und das Ziel Ihrer Sammlung?

 

HARALD FALCKENBERG: Kunst will immer auch täuschen. Eine gute Geschichte sollte niemals durch die Wahrheit verdorben werden. Wenn man über Kunst nachdenkt oder über Motive für das Sammeln, geht es nicht so sehr um das, was ist, sondern um das, was wir wollen, denn wir befinden uns im psychologischen Bereich. Wenn mir einer auf den Kopf zusagt, du sammelst doch nur, weil du angeben willst, kann ich ihm kaum widersprechen. Alle möglichen Begründungen gegen Eitelkeit als Motiv können sich schnell als Hilfskonstruktionen, als wishful thinking, erweisen. Der Umgang mit Wahrnehmungsschichten und Vorstellungen, die auf Verdrängung beruhen, ist typisch für die Beschäftigung mit Kunst. Allzuoft geht es beim Sammeln von Kunst um den Ausgleich von Defiziten. Bei Kindern, so eine These von Sigmund Freud, wird der frühe Entzug der Elternliebe durch Teddys und Puppen kompensiert. Schaffen sie es später nicht, erwachsen zu werden, träten an deren Stelle die Sammlung von Kunstwerken und anderen Objekte der Begierde. Die Infantilität solcher Sammler, zu denen auch ich mich zähle, muß nicht negativ verstanden werden. In ihr manifestiert sich ein Widerstand gegen die Vereinnahmung durch Regeln und Vorschriften und die Erschließung eines persönlichen Freiraums. Routine und Erfahrung bestimmen im beruflichen Bereich unser Leben. Dazu stehe ich. Niemand will mit unroutinierten Zahnärzten, Anwälten oder Geschäftsführern zu tun haben. Auch gesellschaftliche Verbindungen sind Teil dieser Routine. Mit Kunst umzugehen heißt für mich, diese Routinen zu durchbrechen. Kunst führt mit Künstlern, anderen Sammlern, Kritikern, Kuratoren, Museumsleuten und Kunsthistorikern zusammen. Man trifft die verschiedensten Menschen, mit denen man ein Thema teilt. Man braucht sich nicht um persönliche Hintergründe zu scheren. Es geht um Kunst, ästhetische Präferenzen und den Diskurs gesellschaftlich-politischer Zusammenhänge. Man lernt, umzudenken, neu wahrzunehmen. Kunst heißt differenzieren. Der Unterschied ist das Entscheidende. Was macht diese Arbeit gegenüber einer anderen aus? Warum ist sie besser? Beschäftigt man sich längere Zeit mit Kunst, bilden sich neuronale Netze heraus, die eine Beurteilung innerhalb von Sekundenbruchteilen möglich machen. Der Prozeß der Wahrnehmung – die Erfahrung im Sinne des Wortes – unterliegt immer neuen Erkenntnissen und Überlegungen und ist nie abgeschlossen.

 

Die Beurteilung eines Bildes nach einem neuronalen Muster – wie kann man sich das vorstellen?

 

Die Beurteilung von Kunst innerhalb von Sekundenbruchteilen hat Susan Sontag als erotischen Vorgang bezeichnet; ich würde eher von einer Irritation im zustimmenden oder abstoßenden Sinne sprechen. Der Irritation folgt eine rationale Auseinandersetzung mit dem Werk des Künstlers. Es geht um die Einordung des Gesamtwerks, um Werkgruppen und schließlich die Arbeit, die zu beurteilen ist. Ein schlechter Wegweiser ist der Name. Auch berühmte Künstler haben schwache Phasen. Allzuoft produzieren sie Werke für den Markt ohne künstlerische Relevanz. Der Sammler, wenn er nicht schon selbst Experte ist, muß sich orientieren. Er muß sich mit der Rezeption des Werkes auseinandersetzen. Experten kommen zu Wort. Wie in der Juristerei bestehen herrschende Meinungen, Mindermeinungen und vermittelnde Ansichten. Die Auseinandersetzung, was Kunst und was gute Kunst ist, wird öffentlich ausgetragen. Der Sammler, der wie ich allgemein zugängliche Ausstellungsräume unterhält und Texte zur Kunst verfaßt, stellt sich der öffentlichen Kritik. Er muß gut gewappnet sein, um der Kunst seiner Vorstellung Geltung zu verschaffen, und bereit sein, Fehler einzugestehen.

 

Eine Grundregel für Sammler ist, in ihrer eigenen Zeit zu sammeln. Es ist wenig sinnvoll, heute eine Sammlung des Fluxus oder der Pop-art der sechziger Jahre aufzubauen. Es sind nur noch liegengebliebene Arbeiten zu erwerben. Für Spitzenarbeiten müssen enorme Preise bezahlt werden. Das ist nur etwas für Spekulanten und Sammler, die Kunst als Geldanlage verstehen. Genau das aber ist nicht meine Sache. Mir geht es um Kunst im Spiegel aktueller gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Meine Sammlung konzentriert sich auf die Postmoderne, die Zeit nach dem Scheitern der großen Modelle und Systeme der Moderne. Dem Scheitern in der auf die Renaissance zurückgehenden Tradition der Groteske begegnen die bei mir vertretenen Künstler der Postmoderne mit Lachen, Ironie und Zynismus.

 

Die Avantgarde, die gescheitert ist, ist nicht diejenige, die das Scheitern zum Thema gemacht hat. Die russische Avantgarde war keine Avantgarde, die ihr Scheitern zur Kunst machte, sondern die von der Geschichte zermahlen wurde, die in ihrem Heroismus in Verzweiflung gestürzt und annihiliert wurde. Die Kunst, die Sie sammeln, antizipiert dieses Scheitern bereits und macht das Bewußtsein des Scheiterns zum Begleiter der Gegenwart. Sind das nicht Künstler, die nichts mehr riskieren, sondern, ohne wirklich etwas riskiert zu haben, nur das Thema des Scheiterns riskieren?

 

Diejenigen, die ihr Scheitern antizipieren, riskieren, daß sie in der Gesellschaft nicht anerkannt werden. Die russischen Konstruktivisten durften einige Jahre denken, daß sie Baumeister einer neuen Gesellschaft seien, bevor sie verfolgt und erschossen wurden. Und selbstverständlich gab es große Hoffnungen auf gesellschaftliche Veränderungen bei Künstlern der sechziger Jahre, etwa den Wiener Aktionisten und den Vertretern der Fluxusbewegung. Aber auch diese Hoffnungen hatten eine kurze Halbwertzeit. Schon bald ging es darum, wie man mit dem Scheitern fertig werden kann.

 

Auf der einen Seite sagen Sie, die Kunst eröffnet mir eine alternative Welt jenseits der Routine. Sie eröffnet zudem eine Kommunikation, wo der soziale Status keine Rolle spielt, sondern das Sehen, Schaffen, der Ideenaustausch. Auf der anderen Seite sagen Sie, ich interessiere mich für die Kunst des Scheiterns. Wie paßt der Bruch mit der Routine zur Kunst des Scheiterns?

 

Ich hatte früher schon einmal gesammelt, mich für Kunst immer interessiert, aber ohne in die Tiefe zu gehen. Mit fünfzig beschloß ich, eine Sammlung aufzubauen, weil ich meinte, das wäre etwas für die Zeit nach meiner Pensionierung. Ich habe gesehen, wie sich Menschen nach dem Ausscheiden aus ihrem Beruf fallenlassen und vereinsamen; dem wollte ich rechtzeitig begegnen. Ich habe meine Entscheidung als Auswirkung einer positiven Midlife-crisis verstanden. Einen wichtigen Einfluß hatte der Künstler Werner Büttner, der mit Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Georg Herold zusammenarbeitete. Wir freundeten uns an, dann geriet er in eine Ehekrise und zog bei mir ein; über ein Jahr war er dort. Für seine Scheidung brauchte er Geld und hat mir wichtige Arbeiten von Kippenberger, Oehlen und Herold überlassen. Das war der Grundstock der Sammlung. Ich habe dann als Gegenstücke Werke von amerikanischen Künstlern gesammelt, die sich wie ihre deutschen Kollegen zentral mit subversiver Kunst und dem Scheitern als Prinzip beschäftigten, insbesondere Arbeiten von Mike Kelley, Richard Prince, John Baldessari und Paul McCarthy. So entstand eine deutsch-amerikanisch geprägte Sammlung mit dem Schwerpunkt auf der Kunst der letzten dreißig Jahre.

 

Scheitern, hat das mit einer Lebenshaltung zu tun?



 

Ja, die Beschäftigung mit dem Phänomen der Haltung geht auf die berühmte Ausstellung von Harald Szeemann When Attitudes Become Form 1969 in Bern zurück. Auch beim Scheitern geht es um Haltung. Mit welcher Haltung scheitere ich, mit einer heroischen, heiteren oder ironischen? Und wie geht man damit um, wenn man nicht mehr glaubt, daß alles großen Systemen und höherer Bedeutung unterliegt? Das ist eine der zentralen Fragen der Postmoderne. Die Avantgarde, die mit dem Futurismus begründet wurde, hatte die Vorstellung, eine ganz neue Gesellschaft zu schaffen. Als die großen Entwürfe gescheitert waren, wischte Ende der Siebziger der Punk alles weg. Kippenberger war der erste Künstler, der es verstand, die neue Haltung radikaler Hoffnungslosigkeit in seinen Werken umzusetzen. Joseph Beuys vertrat noch die Hoffnung: „Jeder Mensch ist ein Künstler“, das war in den frühen siebziger Jahren. Zehn Jahre später skandierte Kippenberger fröhlich: „Jeder Künstler ist ein Mensch.“ Die Postmoderne – die Zeit danach – kennzeichnet den Abschied vom klassischen Avantgardismus und von den großen Ideen der Moderne.

 

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