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Inhaltsverzeichnis

LI 129, Sommer 2020

Unbehagen an der Stadt

Utopien der Digitalmoderne und die urbane Grammatik von morgen

(…)

Heinz-Norbert Jocks: Die elektronische Vernetzung für eine Smart City scheint auf Sie keine Faszination auszuüben.

Niklas Maak: Utopien waren schon mal aufregender und klüger. Eine der axiomatischen Fragen ist die nach den Konsequenzen der Robotisierung und Digitalisierung. Städte waren immer um Arbeit und Handel herum gebaut. Die moderne Metropole entstand als Folge der Konzentration von Produktionsmitteln und Arbeitskräften, die Stadt des tertiären Sektors, der Konsumgesellschaften des 20. Jahrhunderts bildete sich durch den Bau von Bürovierteln in und Wohnsiedlungen vor der Stadt. Was, wenn die Arbeit durch Robotisierung und Automatisierung aus Fabriken und Büros verschwindet? Die meisten Smart-City-Konzepte behandeln Arbeit als eine anthropologische Konstante: Man arbeitet in Bürobauten im Zentrum. So auch der Bericht der Stanford University „Künstliche Intelligenz und Leben im Jahr 2030“.
    Daß Fabrikarbeit und Verwaltungsjobs aus den Städten verschwinden und kein Bedarf mehr für den Transport „von zu Hause zur Arbeit“ bestehen könnte, wird nicht einmal als Möglichkeit erwähnt. Man geht von einer technologischen Revolution aus, glaubt aber, daß bei der Stadt alles bleibe, wie es ist.
    Diese konzeptionelle Stasis ist der blinde Fleck der Smart-City-Modelle. Die entscheidende axiomatische Frage bleibt unformuliert: Wohin würde sich die Stadt entwickeln, wenn die Arbeit verschwindet; wie werden sich ihre ökonomische Topographie, ihre Rituale, ihre sozialpsychologischen Rhythmen, ihre Räume und das tägliche Leben verändern?


Heinz-Norbert Jocks: Wenn die Stadt zu einem „Museum für Touristen und Eliten“ wird, wäre ihr das bunte Leben ausgetrieben. Mit welchen Konsequenzen?

Niklas Maak: Die Stadt, die ihren Glamour, ihr glitzerndes Versprechen ja auch einer Dichte und Bewegungsfülle im räumlichen wie im poetischen Sinne verdankt, dem Zusammentreffen, der Überlagerung und Amalgamierung von Biographien, Geschichten, Narrativen, Schicksalen, dem Gedrängten, den Tausenden von leuchtenden Fenstern, der Kondensationsenergie – diese Stadt wird langweilig. Leerer. Kontrollierter. Kleiner. Langsamer. Also: dörflicher. Vielleicht sind wir die letzte Generation, der die Großstadt noch eine Verheißung war. Eine Stadt, in der Komfort und Sicherheit Wachheit und Selbstbestimmung als oberste Ziele ablösen, verliert ihr fundamentales Freiheitsversprechen.


Heinz-Norbert Jocks: Urbane Vitalität, das bedeutete, daß hier gleichzeitig gewohnt, gearbeitet, studiert, eingekauft, verwaltet, Kultur produziert und rezipiert und das Leben genossen wurde. Was rückt an die Stelle dieser Funktionen?

Niklas Maak: Die technologische Revolution bewirkt die größte Ruinenproduktion der neueren Geschichte: Viele Postämter, Einkaufszentren, Parkhäuser, Bürobauten werden bald leerstehen. Straßen und Parkplätze, bislang für die Organisation des individuellen Verkehrs zwischen Heim und Büro bestimmt, könnten daher neugestaltet und zum Beispiel als öffentliche Parks mit Pools, Tennisplätzen und Tischtennisplatten oder als Spielflächen genutzt werden. In einstigen Bürobauten können, wie beim Berliner Haus der Statistik, kleinere lokale Produktionen und Werkstätten und Ateliers ein Heim finden, dazu Orte für Bildung, Forschung und Pflege entstehen. Man wird diese leeren Flächen für andere Aktivitäten neu definieren können, um Zeit mit Freunden zu verbringen, Kinder großzuziehen und Leute kennenzulernen. Ein nicht mehr auf einen Nine-to-five-Rhythmus beschränktes Leben könnte sich in großzügigen, offenen, bewohnbaren Landschaften vollziehen, wo Bildung, Liebe, Kommunikation, Wissensproduktion und Forschung anders organisiert sind. Auf Architekten und Stadtplaner kommen glänzende Zeiten zu, wenn es gelingt, die urbane Grammatik neu zu formulieren.


Heinz-Norbert Jocks: Diese Neue Welt wird schon konzipiert, über die Köpfe derer hinweg, die sich in diese neuen Verhältnisse einzufügen haben.

Niklas Maak: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Und auch der Wegfall bestimmter Berufe – wie der unterbezahlter Paketpackerinnen – muß keine schlechte Nachricht sein. Daß Einkaufszentren, Parkplätze und Bürotürme frei werden, auch nicht. Es fragt sich allerdings, welche Verdienstmöglichkeiten denen offenstehen, deren Job wegrationalisiert wird. Es geht bei all diesen Fragen nicht um einen Aufstand gegen eine technologisierte Gegenwart, sondern um eine Wiederaneignung der digitalen Produktionsmittel – und eine faire Verteilung der Digitalisierungsgewinne, zu denen ein Großteil der Bevölkerung beiträgt, die aber zur Zeit in den Händen weniger Konzerne landen.

(…)


Heinz-Norbert Jocks: Die Regierung der Städte heute ist fast überall verbunden mit einer Totalisierung der Kontrolle durch die flächendeckende Installierung von Kameras. Wie beeinflußt dies das Verhalten der Einwohner?

Niklas Maak: Die heutige Stadt ist eine Mischung aus Entertainment und Überwachung. Überall wächst eine Art Instagram-Architektur in die Höhe – monumentale Touri-Bespaßungsbauten wie Thomas Heatherwicks Vessel in Manhattan: ein freistehendes, wabenförmiges Treppenhaus, eine Art Giga-Skulptur, die aus Treppen besteht, die nirgendwo hinführen – was ein gutes Bild ist für den Zustand der Stadt. Diese Architektur reguliert unmerklich die Nutzung des Raums: The Vessel blockiert einen Platz, auf dem man sich ohne das Treppenobjekt versammeln und Veranstaltungen abhalten könnte, mit einem Aussichtsturm. Was hat das zu bedeuten? Nicht der kritische, aktive Stadtbürger ist gefragt, der öffentliche Räume nutzt und auch mal renitent wird, sondern der kalkulierbar reagierende, mit dem Bus geordnet angelieferte, eher kontemplative Nutzer von Stadtmöbeln ist erwünscht. Viele spektakuläre Neubauten sehen aus, als sei ihre einzige Daseinsberechtigung, den Hintergrund für Selfies abzugeben. Im Kern dominiert eine Überwachungsarchitektur: Leere öffentliche Plätze, auf denen Skater herumbretterten, Demonstrationen oder Protestmärsche stattfanden, werden mit Bänken, Stühlen, Eisdielen, Fahrradwegen und umzäunten Spielplätzen so verrammelt, daß Gruppen von Unzufriedenen oder Skater dort keinen Ort mehr finden. Dinge, die wie Straßenlaternen aussehen, erweisen sich als Überwachungskameras. Das Ziel dieser Möblierung ist, wie gesagt, der berechenbare, der identifizierbare Bürger.
    Wir sind an einem dramatischen Punkt in der Geschichte des Gemeinwesens, der common goods, angekommen. Das planerische Ideal des 20. Jahrhunderts war die autogerechte, das des 21. Jahrhunderts ist die datengerechte Stadt. Bis in die achtziger Jahre wurde alles auf die Bedürfnisse des Autos abgestimmt, jetzt wird alles ums Smartphone herumgebaut. Wie einst die Verkehrsströme, sind es die Datenströme, von denen vor allem private Konzerne (Google, Facebook, Amazon) oder autoritäre Regimes profitieren. Wir brauchen dringend eine Ideologiekritik der Smartifizierung, welche die Smart City und das Internet der Dinge als Projekte kenntlich machen, die Großkonzernen horrende Gewinne, enorme Macht und Manipulation ermöglichen.

(…)

Heinz-Norbert Jocks: In Wim Wenders’ Film Himmel über Berlin wird in manchen Textpassagen von Peter Handke ein Loblied auf die Zwischenräume gesungen. Nach dem Mauerfall kam es zu einem Bauboom, der die Stadt Berlin weitgehend umgekrempelt hat. Wie sehen Sie die Transformation der Metropole?

Niklas Maak: In Berlin war ein starker eliminatorischer Eifer am Werk. Alles, was nach „Ost“ aussah, wurde verblendet oder, siehe Palast der Republik, so geschliffen, wie siegreiche Renaissance-Familien die Türme ihrer Gegner schleifen ließen. Dieser Triumphalismus meist älterer Westler hat moderne Architekturikonen und emotional besetzte Erinnerungsorte der ostdeutschen Bevölkerung dem Erdboden gleichgemacht und mit käsigen Surrogaten der Stadt des 19. Jahrhunderts ersetzt – jedoch ohne die lebendige Dichte, die Mischung aus populärem Wohnen, kleinen Betrieben und Gedränge mit zu rekonstruieren. So wurde die „europäische Stadt“ nur formal, als Bild, und nicht strukturell wiederbelebt. Die Leerstellen, Frei- und Zwischenräume der geteilten Stadt wurden als Wunden, als unheimlich empfunden und schnell mit einem Imitat der Stadtgrundrisse des 19. Jahrhunderts aufgefüllt. Damit brachte sich Berlin um ebenjene Räume, in denen jene Improvisation, jenes subkulturelle Leben weiter hätte stattfinden können, mit dem das Stadtmarketing so gerne Werbung macht. Wo das Stadion der Weltjugend stand, residiert heute der Bundesnachrichtendienst. Das ist ein treffendes Bild für das, was mit der Stadt passiert ist.

Heinz-Norbert Jocks: Was hätte aus Berlin werden können, wenn man diese fatalen Irrtümer nicht begangen hätte? Welches kulturelle Potential wurde durch diese Bebauungs-politik blockiert?

Niklas Maak: Ich hätte mir gewünscht, daß die Generation, die in den neunziger Jahren an der Macht war, nicht alle Freiräume in einem Anfall von Agoraphobie nach ihrem Gusto zugebaut hätte. Kommende Generationen finden kaum noch zentrale Freiflächen. Das ist ein bißchen so, wie wenn Eltern die Studentenbude ihres Kindes nach ihrem Geschmack zumöblieren. Nur daß die Berliner ihr ganzes Leben in der so möblierten Bude verbringen müssen. Es sei denn, man reißt alles wieder ab. Vielleicht kommt ja in dreißig Jahren ein wohlhabender Elektrotraktorenhändler und sagt: „Das Schloß ist so häßlich, reiner Fake, laß es uns doch abreißen und diesen legendären, schicken Palast der Republik wiederauferstehen, der da mal stand und nach dem Untergang der DDR die beste Experimentalbühne war, die Berlin je hatte.“


Heinz-Norbert Jocks: Sie schildern Berlins Neubebauung als Versuch der Ausradierung der DDR-Spuren in der Architektur. Diese Überschreibung bedeutet eine kulturelle Auslöschung.

Niklas Maak: Das war schlimmster Revanchismus. Man hat die Menschen, die in diesen Orten gelebt, gefeiert haben, ihrer Erinnerungsorte beraubt und diese zum Zeichen des Sieges der Westmächte mit Sandsteintapeten in Altstadtoptik überklebt. Doch wird mit einer kosmetischen Anpassung nichts wiedervereinigt. Hätte man in Berlins Zentrum die lebendige Stadt des 19. und frühen 20. Jahrhunderts reanimieren wollen, dann hätte man dies nicht nur formal, per Traufhöhen, rekonstruieren müssen, sondern auch sozial, indem dort erschwinglicher Wohn- und Arbeitsraum für alle geschaffen worden wäre. Berlin war in den Zwanzigern so lebendig, weil sich durch den Zustrom von Migranten aus dem Osten vier kleine Läden dort drängten, wo es vorher einen gab. Diese soziale Dichte auf kleinen Parzellen wurde nicht wiederbelebt, Bürgermeister und Wirtschaftssenat verkauften großflächig an Konzerne und Großinvestoren wie Daimler-Benz oder Sony. Senatsbaudirektor Hans Stimmann wollte „Bauland in Bürgerhand“, wurde aber ausgebremst; was ihm blieb, war die Möglichkeit, der Stadt einen Look zu verordnen, der die stadtverödenden ökonomischen Strukturen überspielt.

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