LI 66, Herbst 2004
Die Schwadron Gottes
Auf dem Nationalkonvent der Republikanischen Partei in New YorkElementardaten
Genre: Literarische Reportage / New Journalism, Porträt
Übersetzung: Aus dem Englischen von Herwig Engelmann
Textauszug
(...) Ein gewisser Glamour lag beim Parteitag der Republikaner in der  Luft: Es war die Überzeugung, daß fehlender Patriotismus der Feind der  Demokratie ist, daß eine Neigung zum Differenzieren eine Form des  elitären Denkens und die einzige Stärke, die in der Außenpolitik zählt,  der Stolz auf das eigene Land ist. In diesem geistigen Klima „ dessen  Intoleranz zum Himmel stinkt „ hält sich auch die Vorstellung, daß die  Ausländer Amerika nicht für seine Taten hassen, sondern für seine Werte,  seine „Lebensweise". Wenn die Leute vom amerikanischen Imperialismus  reden, heißt es, dann meinen sie eigentlich letztere „ nicht die  destruktiven und mörderischen Geschäfte von Halliburton und der  Carlyle-Gruppe, nicht die Seilschaften und das Decken der Saudis durch  die texanischen Ölbarone, wie schockierend all das auch sein mag. Was  die Ausländer eigentlich meinen, ist das selbstsichere Auftreten der  Amerikaner im Alltag. Deswegen halten sie Amerika für eine Truppe im  Kampf gegen andere Kulturen und Lebensweisen. Dieses Zeug inhalieren die  Delegierten seit Jahren tief in ihre Lungen, und sie konnten auch bei  diesem Parteitag nicht genug davon bekommen. „Die Muslime hassen uns  einfach, weil wir die Freiheit lieben", sagte eine Frau aus Iowa mit  einem Stoffelefanten auf ihrem Kopf. „Sie haben keine Kultur, und sie  hassen uns dafür, daß wir eine großartige Kultur haben. Und die Bibel  hassen sie auch."
„Wirklich?" fragte ich. „Die Iraker hatten schon  vor Jahrtausenden eine Kultur, bevor die Bibel überhaupt geschrieben  wurde."
„Was sagen Sie da?"
„Ich sage, die Muslime haben schon  Tempel gebaut, als New York noch ein Sumpf war."
„Sind Sie für die  Iraker?"
„Nein."
„Sie finden es richtig, daß unschuldige Leute auf  dem Weg zur Arbeit umgebracht werden? Leute, die dann aus Fenstern  springen müssen?"
„Sie hören mir nicht zu."
„Nein, mein Freund.  Sie hören nicht zu. Diese Leute, für die Sie sind, versuchen unsere  Kinder in ihren Betten zu ermorden. Wo kommen Sie überhaupt her, von der  New York Times?"
Die Tribüne dieses Parteitags war  weniger glamourös als die in Boston, weniger neongrell und persönlicher.  Die Mannschaft um George Bush sollte diese Woche für ihren  Machoauftritt nutzen und doch offenbaren, daß sie in der Defensive ist.  Im Kern weiß diese Regierung, daß sie in Schwierigkeiten steckt. Sie  kompensierte das beim Parteitag übermäßig, indem sie jede Erwähnung von  Schwierigkeiten vermied und aus New York all die rechtslastigen Zirkel  verbannte, die ihre eigentlichen ideologischen Reserven bilden. Daß die  Frau aus Iowa die New York Times erwähnte, erinnerte mich  daran, wie unerschütterlich die Republikaner an eine linke Verschwörung  glauben. Sie nehmen die Welt in Begriffen der Verschwörung wahr, aber  das Raster der Linkslastigkeit ist das verlogenste von allen. Selbst das  amerikanische Fernsehen hat sich dem Ideal der amerikanischen  demokratischen Anständigkeit verschrieben, das die Republikaner während  dieser gesamten Woche zu verkaufen trachteten.
Die Worte „nine/eleven"  wurden so oft ausgesprochen, daß sie wie eine Droge im Blut zu kreisen  begannen. Niemand sprach ein Thema an oder erklärte eine Politik oder  träumte einen Traum, das, die oder der nicht mit Rache zu tun hatte. Ein  Republikaner aus Puerto Rico namens Luis Fortuno sprach auf der Bühne.  Unterdessen winkte ein Schwall von Männern aus Texas mit ihren Hüten,  als wären sie ein Mann und als würden sie etwas verabschieden, das wir  anderen ganz deutlich erkennen könnten. Plötzlich wehte es einen von  Fortunos Sätzen über die Reihen: „Präsident Bush ist entschlossen,  seinen Ängsten (his panics) mehr Macht zu geben."
Ich dachte  einen Augenblick darüber nach. „Das stimmt",  sagte ich mir. „Das ist  ganz offensichtlich richtig. Er gibt seinen Ängsten alle Macht, er  überläßt ihnen eine ausschlaggebende Rolle bei der Ausarbeitung seiner  Politik. Das ist es. Bushs Ängste sind das Wesen seiner gesamten  Regierung." Ich sah wieder zur Bühne.
Fortuno: „Und zum ersten Mal  sind seine Ängste ..."
„Ja", dachte ich. „Wenn er bloß seine Ängste  unter Kontrolle hätte ..."
„Ja, zum ersten Mal ..."
„Lateinamerikaner  (Hispanics)!", rief ich, „er will den Lateinamerikanern mehr Macht  geben!"
„Genau!" sagte eine Frau neben mir, von deren Kopf kleine  Raketen in den amerikanischen Farben baumelten.
Dabei hatte ich doch  vorher sagen wollen, daß Fortuno recht hatte. „Was ist mit Ihren  Ängsten? Mit unseren Ängsten?"
„Was sagst du, Süßer?"
„Nichts."
Wenn  man sich Aufnahmen vom Parteitag der Republikaner im Jahr 1980 ansieht,  erkennt man den Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, George H.  W. Bush, wie er schüchtern die Truppen auf ein todsicheres Ziel  einschwört: „Laßt uns vorwärts marschieren", trällert er, „und das Jahr  1980 nicht nur zu einem Sieg für Ronald Reagan, sondern auch für die USA  und die Sache der Freiheit auf der ganzen Welt machen." Während  Konfetti auf die Bühne zu rieseln beginnt, sieht man Frank Sinatra aus  der Menge hervorstrahlen (er konnte es nie verwinden, daß John Kennedy  1962 Bing Crosby den Vorzug gab) und rechts neben der Bühne einen  aufgeregten Mann, der sich mühsam unter Kontrolle hält: Es ist der Sohn  des Kandidaten für das Vizepräsidentenamt, George. Dieser George wirkte  damals sehr verloren und hatte einen etwas irren Blick „ wie auf den  Photos aus der Zeit, als er Flieger war und auf diese Weise versuchte,  Oklahoma gegen den Vietkong zu verteidigen.
Ungefähr ein halbes  Jahrzehnt nach Detroit gelang es George mit Hilfe von Billy Graham, von  der Flasche loszukommen. Dabei verbündete er sich zugleich mit Gott und  der religiösen Rechten „ eine Allianz, die seine Politik von Grund auf  verändern sollte und ihm zum Triumph über seinen Vater verhalf. Als Bob  Woodward ihn vor nicht zu langer Zeit fragte, warum er seinen Vater vor  Kriegsbeginn gegen Saddam Hussein nicht um Rat gefragt habe, antwortete  George: „Wenn es um Stärke geht, ist er nicht der Vater, den man um  Hilfe bitten kann. Es gibt einen Höheren Vater, den ich gefragt habe."
Sätze  wie diese haben den Eindruck erweckt, daß George W. Bush ein  fundamentalistischer christlicher Krieger ist oder zumindest ein zum  Kampf entschlossener christlicher Soldat. Evangelisten, Pfingstler und  Fundamentalisten glauben ganz offensichtlich daran, daß ihr Mann im  Weißen Haus sitzt. 
(...)
 
   
   
   
  