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Cover Lettre International 77, Francesco Clemente
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LI 77, Sommer 2007

Pakistans dunkler Kern

Ein brandgefährlicher Staat im Zentrum des „Kriegs gegen den Terror“

Georg Brunold: In Pakistan macht der grimmige Scherz die Runde, Präsident George W. Bush müsse sich im Irak in der Adresse getäuscht haben. Falls er tatsächlich hinter einem Diktator her gewesen sei, der den Vormarsch radikaler Islamisten begünstige, Zellen von al-Qaida im Land dulde, Massenvernichtungswaffen besitze und Nachbarländer bedrohe, hätte er seine Truppen besser an den Indus statt an den Tigris entsandt. Nicht der Irak habe diese Merkmale auf sich vereint, wohl aber Pakistan, ein Staat, schon fast sprichwörtlich als der gefährlichste der Welt bekannt.

Ahmed Rashid: In Pakistan hatten wir immer wieder eine Militärherrschaft, und dem großen Nachbarn Indien gegenüber hat das pakistanische Militär die Frage der nationalen Sicherheit ausschließlich als Konfrontation begreifen können. An vorderster Front stand dabei nie die Armee selbst. Die erste Feindberührung war stets, seit dem Krieg in Bangladesh 1971, den radikalen islamistischen Parteien vorbehalten. Schon damals sandte die -Jamaat Ulema-e-Islami ihre Todesschwadronen aus, die im Auftrag der Armee die Zivilbevölkerung terrorisierten und Bengalen ermordeten.

Ist das nicht ein Echo der Geburtswehen dieses gerade erst sechzigjährigen Staates, dem bei seiner Gründung und der Teilung Britisch-Indiens 1947 einzig die Religion eine Daseinsberechtigung geben konnte? Das Land der indischen Muslime, denen ansonsten eine nationale Identität fehlt …

Sicher hat es damit zu tun. Seit 35 Jahren schon fördern die Militärs die fundamentalistischen Parteien, unterstützen und finanzieren sie, spalten sie, wenn sie zu stark werden oder zuviel Selbständigkeit entwickeln, um innerhalb dieser Kräfte willfährige Gruppierungen heranzuziehen …

… wie wir das aus mehr als einem Vierteljahrhundert pakistanischer Einmischung im Nachbarland Afghanistan kennen, aus dem antisowjetischen Widerstand der achtziger Jahre und später aus den verschiedenen Bürgerkriegsrunden, in denen Pakistan bis heute seine Finger im Spiel hat.

Die Fundamentalisten fochten in Afghanistan einen Heiligen Krieg. Dem pakistanischen Sicherheitsestablishment hingegen ging es um die Ausweitung des eigenen Einflusses. Mit der Demütigung der Roten Armee in Afghanistan zeichnete sich ab, daß durch die weiteren Entwicklungen im Sowjetreich und dessen Zerfall die muslimischen Republiken Zentralasiens für Pakistan großes Gewicht erhalten mußten und Pakistan für diese. Eine von Islamabad kontrollierte islamische Regierung in Kabul sollte Pakistan ein Sprungbrett für Vorstöße nach Zentralasien verschaffen. Zum Ende des Kriegs gegen die Sowjets führte Gulbuddin Hekmatyar gemeinsam mit pakistanischen Islamisten Angriffe über die sowjetische Grenze nach Zentralasien – Operationen, für die die CIA grünes Licht gegeben hatte. Pakistans Generäle waren damals äußerst ambitioniert und die pakistanische Außenpolitik sehr expansionistisch.

Dabei blieb das bestimmende Motiv für Pakistan stets die Rivalität mit Indien.

Es ging darum, Indien aus Afghanistan und den zentralasiatischen Republiken fernzuhalten. Allerdings ist Pakistan auf ganzer Linie gescheitert. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre war Hekmatyar der Mann Pakistans und des pakistanischen Geheimdienstes ISI (Inter-Services Intelligence). Es gelang ihm nicht, die Nordallianz mit ihren russischen, indischen und iranischen Freunden aus der Hauptstadt Kabul zu vertreiben, die er vier Jahre lang zu Schutt und Asche zerschossen hatte. Schließlich sattelte die ISI auf die Taliban um, eine pakistanische Kreation mitsamt ihrer Ideologie.

Nicht nur die Zahlmeister, sondern auch die ideologischen Designer der Taliban sind bei den pakistanischen Geheimdiensten zu suchen?

Aber sicher. 1994, in ihren Anfängen, verkündeten die Taliban, sie strebten nicht nach der Macht in ihrem Staat Afghanistan, sie wollten lediglich die Warlords neutralisieren und die Bevölkerung entwaffnen. Anschließend träten sie zurück zugunsten einer Loja Dschirga, einer großen Versammlung der traditionellen Stammesführer, die über die Zukunft des Landes zu bestimmen habe. In den folgenden Jahren dann waren es die pakistanischen Mentoren, die den Machtkampf unter den Kommandanten der Taliban zugunsten der Hardliner entschieden, deren Ziel die Herrschaft in ganz Afghanistan war. Für Pakistan und seine finanzkräftigen Partner in Saudi-Arabien und den Golfstaaten schien das die nächstliegende Lösung. Die Taliban waren eingefleischt antiindisch und würden in Afghanistan Ausbildungslager für die indischen und pakistanischen Dschihadisten aus Kaschmir dulden. Den Saudis waren sie genehm, weil sie ebenso eingefleischt antischia und damit antiiranisch waren und Afghanistan von Einflüssen aus Teheran reinigen würden.

Aus welcher ideologischen Ecke stammten die pakistanischen Planer von Afghanistans islamistischer Zukunft?

Die Frontorganisation bis heute ist die JUI (Jamiat Ulema-e-Islam), 1994 einst die eigentliche Keimzelle der Talibanbewegung und eines der liebsten Ziehkinder des Geheimdienstes ISI. Die JUI bekennt sich zum äußerst rigiden Deobandizweig des sunnitischen Islam, einem engen Verwandten des saudiarabischen Wahhabismus. Sie ist die stärkste Partei in Pakistans religiöser Koalition MMA (Muttahida Majlis-i-Amal), und seit den manipulierten Wahlen von 2002 stellt sie die Provinzregierungen der Northwest Frontier Province in Peshawar und von Belutschistan in Quetta.

Von den Madrassen, Pakistans Koranschulen, sollen zwei Drittel den Deobandilehren anhängen.

Ja, wir haben zehntausend solcher Schulen im Land …

… nach Minimalzahlen. Andere Schätzungen nennen Zahlen von bis zu 40000.

Nun ja, wir wissen es nicht.

Zum religiösen kommt der ethnische Kitt: Die JUI ist die führende militante Kraft der Paschtunen in Pakistans Grenzprovinzen, und die Paschtunen als größtes Volk in Afghanistan stellten die Hausmacht der Talibanherrschaft, wie vor ihnen schon Hekmatyars Partei Hizb-e-Islami und andere Instrumente der pakistanischen Expansionsgelüste.

Was von außen neu hinzukam, war das Phänomen Bin Laden, dessen Einfluß auf die Führung der Taliban nach seiner Ankunft 1996 stetig zunahm. Mit Bin Laden kam die Philosophie des globalen Dschihad nach Afghanistan, und diese stellte die Bewegung der Taliban mit ihrer bis dahin lokalen Orientierung in einen völlig neuen Kontext. Die Widersprüche zwischen ihren beschränkten, regionalen Zielen, die auch diejenigen Pakistans waren, und den globalen Zielen Bin Ladens spalteten die Bewegung. Ein großer Teil der Taliban lehnte die Massaker ab, in denen der Talibanführer Mullah Omar die schiitische Minderheit der Hazara dezimierte. Ebenso die Sprengung der Buddhas von Bamian im Mai 2001. Solche Akte richteten sich gegen die afghanische Nation. Auch die afghanischen Paschtunen sind an erster Stelle Nationalisten.

(...)

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